Zur Einführung
Als eine lange Zeit vergessene Provinz erscheint das Saarland in der historischen Erfor¬
schung der NS-Zeit.
1919 als Saargebiet geschaffen und von einer vom Völkerbund berufenen Kommission
regiert, 1935 dem nationalsozialistischen Reich Hitlers zugeschlagen, 1945 zuerst von
den Amerikanern und dann von den Franzosen besetzt, 1948 in einer Wirtschaftunion
mit Frankreich verbunden mit teilweise politischer Autonomie und 1957 bzw. 1959 un¬
ter Ablehnung der Europäisierung politisch bzw. wirtschaftlich der Bundesrepublik
Deutschland angeschlossen, war das Land an der Saar wohl zeitweilig zum Spielball
unterschiedlichster Interessengruppen, Ideologien und Wunschvorstellungen geworden
und hatte aufgrund eigener patriotisch-nationaler Grundhaltung und nationalistischer
Antriebe zumindest 1935 die Chance verpaßt, weltpolitisch ein Zeichen zu setzen, einer
verderbten Politik Einhalt zu gebieten oder zum Modellfall eines europäischen Statuts
zu werden.
Viele Ereignisse für ein kleines Land, das seit seiner Entstehung versucht, zu sich selbst
zu finden, sich eine gewisse Eigenständigkeit kultureller, politischer oder landsmann¬
schaftlicher Art aulzubauen! - Und bei dieser "Suche" kam bisher das Kapitel der Erfor¬
schung der nationalsozialistischen Herrschaft an der Saar als Beitrag zur
"Vergangenheitsbewältigung" unserer jüngsten Geschichte zu kurz.
Arbeiten in dieser Richtung befaßten sich vorwiegend mit der Zeit vor der Saarabstim-
mung 1935, so Maria Zenner, Fritz Jacoby, Peter Lempert, Gerhard Paul, Ralf Schock,
Emst Kunkel, Luitwin Bies, um nur einige zu nennen, - zum Teil sehr ausgiebig mit
dem Abstimmungskampf selbst; doch was die Zeit der NS-Herrschaft an der Saar anbe¬
langt, so existierten zu ausgewählten Bereichen, wie zur Judenverfolgung, zur Emigra¬
tion oder zum Widerstand, von H.-W. Herrmann, Kl.-M. Mallmann, G. Paul u.a. zwar
verschiedene, mehr oder weniger umfassende Forschungsarbeiten, ein größeres Werk
stand jedoch bis Herbst 1988 noch aus. Somit kam dem vom Regionalgeschichtlichen
Museum des Stadtverbandes Saarbrücken (seit 1. Januar 1994: "Historisches Museum
Saar") damals herausgegebenen Katalog, "Zehn statt tausend Jahre. Die Zeit des Natio¬
nalsozialismus an der Saar (1935-1945)", mit den Beiträgen verschiedener Autoren eine
größere Bedeutung zu, als nur "Führer" zu der gleichnamigen Ausstellung im Saar¬
brücker Schloß zu sein.
Eine Lücke in der regionalgeschichtlichen Erforschung der NS-Zeit schließt sicherlich
das im Rahmen des Programms "Forschungen zum deutschen Widerstand 1933-1945"
von der Stiftung Volkswagenwerk 1987 ermöglichte Projekt "Widerstand und Verwei¬
gerung im Saarland 1935-1945"; veröffentlicht wurden hierzu 1989 bzw. 1991 zwei
von H.-W. Herrmann herausgegebene Bände, "Das zersplitterte Nein" und "Herrschaft
und Alltag", von Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul. Demgemäß spart die
vorliegende Arbeit bewußt den eben angesprochenen Bereich ganz aus und größtenteils
auch den Aufbau des Verfolgungsapparates (Gestapo, SD, KZ, Sondergericht) sowie die
Frage nach Widerstand und Verweigerung im sozialdemokratischen, kommunistischen,
katholischen und protestantischen Milieu, die im 3. Band der Veröffentlichung der Er¬
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