direkt zur Verfügung. Eigenmächtige Preissteigerungen waren von den Behörden
im Hinblick auf ein vorteilhaftes Reichsbild abzustellen67.
Selbst Ämter des Reiches gingen mit speziellen Anweisungen auf Stimmenfang,
wie das Landesfinanzamt Würzburg, das die Finanzämter an der Grenze zum
Saargebiet anwies, "von jetzt ab bis Ende Januar 1935 weder Mahnungen noch
Vollstreckungen in Reichssteuem, Landessteuern oder sonstigen Abgaben durch-
zuführen"68, oder Reichsstellen nahmen über die ortsansässigen Leiter der Deut¬
schen Front Einfluß auf Privatgeschäfte, wenn sie nur der Rückgliederungssache
dienlich sein konnten69.
Als Einwirkungen aus dem Reich können noch zahlreiche weitere Momente gel¬
ten, die oftmals aufgrund besonderer Umstände des einzelnen, seiner persönlichen
Verhältnisse, seines Glaubens, seiner Nöte und Ängste für ihn in seiner Abstim¬
mungsentscheidung von Bedeutung waren. Dazu zählten z.B:
♦ die nationalsozialistischen Machenschaften bei der Gemeinderatswahl in Ludweiler,
Karlsbrunn und Nassweiler, was zur Annullierung der Wahl durch die Reko (2. Juli
1934) führte70,
♦ die gezielte Verunsicherung filr einzelne Berufsgruppen (z.B. Bauern, aber auch Berg¬
leute, Beamte) für die Zeit nach der Abstimmung71,
♦ die Nicht-Gewährung von Ehestandsdarlehen an Grenzgängerinnen aus der Pfalz, um
durch Verzicht auf den saarländischen Arbeitsplatz diesen für eine Saarländerin frei zu
machen72,
♦ die Behandlung der Saarfrage in den Schulen des Reiches73,
♦ die konstanten Gängelungen der Abstimmungsberechtigten durch Presse, Plakate,
Werbematerialien74,
♦ die Hiobsmeldungen in Presse und Rundfunk bis zum Abstimmungstermin75,
67 Sehr. v. 25.10.1935: ebd. Als Handhabe diente im Sinne einer dirigistischen Wirtschaft die Preisstei¬
gerungsverordnung: RGBl. 1934 I, S. 389.
68 Finanzamt Landstuhl an die Bezirksamtsaußenstelle Waldmohr v. 5.1.1935. LA Speyer, Best. Bez.Amt
Kusel, Nr. 1.4161, Bl. 283.
69 Ebd. Nr. 1.416 II, Bl. 540-543.
70 Arch. dép. de la M.-et-M., Cote 4 M 227, pièce 149.
71 S.Z. Nr. 11 v. 12.1.1935: "Gegen die Erbhoflügen des Status quo". S.Z. Nr. 10 v. 11.1.1935: "Die
Wahrheit über die Renten und Pensionen an der Saar". Das vom Völkerbund gebilligte römische Proto¬
koll erwähne nicht die Heidelberger Abrede, wonach das Deutsche Reich dem Saargebiet seit dem No¬
vember 1927 zur Aufrechterhaltung seiner Sozialversicherung Jahr für Jahr die entsprechenden Zu¬
schüsse gezahlt habe. "Für den Fall des Status quo aber würden die saarländischen Versicherungsträger
mit einem Ausfall von jährlich rund 120 Mill. Franken = 20. Mill. Mark zu rechnen haben."
72 Sehr, des Reichsministers der Finanzen an den Staatsminister des Innern, München, v. 25.4,1934. LA
Speyer, H. 38, Nr. 1.416 II, Bl. 550.
73 Rundschr, des Reichsminsiteriums des Innern v. 20.12.1933 (Nr. III 3.120/4.11) mit entsprechender
Empfehlung. Ebd. Bl. 420.
74 S.Z. Nr. 9 v. 9.1.1935: "Zehn Gebote für den Abstimmungsakt"; ebd.: "So stimmt der Deutsche an der
Saar". Werbematerial des Reiches im Saargebiet. LA Speyer, Best. Bez.Amt Kusel, Nr. 1.416 II, Bl. 23.
122