Full text: Migration und Urbanisierung

Auf eine Kurzformel gebracht, bildete demgemäß - und im eindeutigen Widerspruch 
zu den Thesen Langewiesches - die Zuwanderung die Trendkomponente, die Ab¬ 
wanderung jedoch die Konjunkturkomponente des Wanderungsumschtags in dem schnell 
vom Dorf zur starken Mittelstadt expandierenden Malstatt-Burbach. 
Auch der die Kommune hart treffende Konjunktureinbruch vermochte anscheinend die 
Erwartung der Zuwanderer auf verbesserte Subsistenzmöglichkeiten in dem städtischen 
Gemeinwesen prinzipiell nicht zu mindern, bis aus dem eigenen Erleben der Krisenrealität 
sehr häufig der Entschluß zum erneuten Wegzug gefaßt wurde. Je schwieriger die 
städtischen Lebensumstände wurden, umso größer wurde die Emigrationsbereitschaft. 
Der Wille anderer, in der Stadt ihr persönliches Glück zu versuchen, wurde davon 
offenbar jedoch nicht berührt. 
Dabei ist bemerkenswert, daß sich dieses Regelsystem erst exakt fünf Jahre nach Beginn 
der aus heutiger Sicht feststellbaren Bevölkerungskrise einstellte und sich die Bevölkerung 
diesem Regelsystem darüber hinaus genau fünf Jahre nach deren Ende wieder entzog. 
(Abb. 4) Erst nach mehrjähriger Krisenerfahrung gewann man, wie es scheint, seitens 
der besonders mobilen Bevölkerungsteile die Einsicht, daß jede auch nur halbwegs 
günstige Gelegenheit beim Schopfe gepackt werden müsse. Falls sich in der Stadt, in 
der man gerade verweilte, abzeichnete, daß sich die ökonomischen Rahmenbedingungen 
nicht allzu ungünstig gestalteten, hieß es auf jeden Fall vorläufig einmal zu verweilen. 
Andererseits veranlaßte jede spürbare Verschlechterung der Umstände offensichtlich zu 
spontanen Abzugsbewegungen, um ja nicht an dem Industriestandort oder in der Stadt 
der letzte zu sein, wo sich vielleicht eine neuerliche Chance bot. Diese These läßt sich 
mit der eingangs formulierten Annahme zeitweiliger innerregionaler Austauschwanderun¬ 
gen während der wirtschaftlichen Baisse vereinbaren. Entsprechend der zeitversetzten 
Etablierung dieses Handlungsmusters verlor sich ebenfalls sozusagen mit fünfjähriger 
Verspätung die in gewisser Weise als instinktiv zu bezeichnende Ängstlichkeit im 
Wanderungsverhalten, und man fand zu gesteigerter Risikobereitschaft zurück, unter der 
Prämisse, daß, wenn sich die Subsistenzbedingungen beispielsweise in Malstatt-Burbach 
schon vielversprechend anließen, doch auch andernorts ein gutes, vielleicht besseres, 
Auskommen zu erwarten sein dürfte. 
65
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.