Eine Überprüfung dieser These bietet sich im Zusammenhang mit der Analyse der
Wanderungsrouten (Herkunftsorte der Zu- bzw. Zielorte der Abwanderer) an.
Für das lothringische Diedenhofen sind zwar nur die (geschätzten) Zuwachsraten weniger
Jahre (1886 bis 1900) (Tab.7) verfügbar, doch erlauben bereits diese Ziffern sowie die
vorhandenen Durchschnittswerte (Tab.5) einige vergleichende Rückschlüsse. Die
wesentlich geringere Bevölkerungsdynamik und die bis in den letzten Abschnitt des
Untersuchungszeitraums unbedeutenden Zuwachsraten sind bereits angesprochen worden
und treten graphisch dementsprechend deutlich hervor. (Abb.3) Zudem zeigt sich aber,
daß auch noch die in Esch und Malstatt-Burbach signifikante Neubelebungsphase der
Bevölkerungskonjunktur ab 1889/90 Diedenhofen völlig unberührt ließ, wo das Wachstum
gegen Null tendierte. Dies bedeutet wohl, daß die Gamisonsstadt ihr Bevölkerungs¬
potential an die benachbarten, prosperierenden Industriestädte abgeben mußte, bis mit
der Gründung der Röchling'schen ''Karlshütte1' (1898) und der Niederlegung der Wälle
(1901) die Industrialisierung auch den Lebensrhythmus der Stadt Diedenhofen zu
bestimmen begann.
Wie kamen aber nun die aufgezeigten Bevölkerungszuwächse zustande? Weichen Anteil
hatten die offenbar nicht unbeträchtlichen Wanderungsbewegungen an der Steigerung
der Einwohnerzahlen? Welche Entwicklung nahm die Mobilität über die Untersuchungs¬
zeitspanne hinweg? Wie veränderten sich demographische Eckwerte, wie Geburten- und
Sterbeziffern, im Kontext dieses Städte Wachstums? Und schließlich: Wie verhielten sich
die Mobilitäts-und Bevölkerungskonjunktur zur Wirtschaftskonjunktur? Gab es saisonale
Besonderheiten und wie wandelte sich die Wanderungssaison im Verlauf der verschiede¬
nen Industrialisierungsphasen?
1. Wanderungsvolumen und Wanderungsbilanzen
Mit den Städten wuchs zugleich Jahr um Jahr tendenziell die Zahl der Menschen, welche
durch diese expandierenden Gemeinwesen angezogen wurden. Während das in Malstatt-
Burbach meßbare Wanderungsvolumen, d.h die Summe aller Zu- und Abwanderer, in
den 1870er Jahren bis zu 1.800 Personen pro Jahr umfaßte, zählte man in der ersten
Dekade des angebrochenen 20. Jahrhunderts jährlich kaum weniger als durchschnittlich
15.000 Personen.5 Die Abwanderung betrug hier zwischen 18696 und 1909 im Mittel
5 Vgl. Tab.6. Das Wanderungsvolumen für Malstatt-Burbach wurde rechnerisch folgendermaßen
ermittelt: Einwohnerzahl + Geburten - Sterbefälle + Zuwanderer - Einwohner des Folgejahres.
Die Summen der Eintragungen in die Abmelderegister weichen aufgrund der bereis erwähnten
zeitgenössischen Erfassungsfehler teils erheblich von den errechneten Werten ab und sind m.E-
unbrauchbar. Die Werte für Diedenhofen sind reine Schätzwerte, da hier die Bevölkerungszahlen
nicht lückenlos dokumentiert sind; es handelt sich dabei zwar um recht zuverlässige Durch¬
schnittswerte, sie können jedoch nicht die Varianz des Wanderungsvolumens widerspiegeln. Die
58