auf ihre budgetäre Situation. Der Staat besaß gegenüber den Gemeinden keine Zwangs¬
mittel, sondern konnte die Kommunen aufgrund fehlender Kompetenzen ausschließlich
durch die Bereitstellung von Fördermitteln zum Wohnungsbau anhalten. Die Städte
zeigten sich jedoch nicht gewillt, Wohnungsbaumaßnahmen im großen Stile einzuleiten,
sondern verhielten sich auffallend ignorant gegenüber den offensichtlichen Mißständen,
weigerten sich eine kommunale Wohnungsaufsicht einzurichten und begnügten sich mit
Hinweisen auf die Verantwortung der Industrie für die Unterbringung ihrer Arbeitskräfte.
Lokale Grundbesitzerinteressen innerhalb der Stadtparlamente spielten dabei eine
entscheidende Rolle. Der Wohnungsmarkt wurde im wesentlichen liberalen Regelungs¬
konzepten überlassen. Einem der wenigen strukturpolitisch motivierten Ansätze der
deutschen Staatsbehörden im unmittelbaren Kontext des Wanderungsgeschehens war
damit kein Erfolg beschieden, weil die Kommunen und der Fiskus eine unterschiedliche
Stoßrichtung verfolgten. Ausschließlich kurzfristig wirksame Arbeitsbeschaffungs¬
maßnahmen waren die Gemeinden bereit zu finanzieren, falls aufgrund wirtschaftlicher
Einbrüche Massenarbeitslosigkeiten anstanden und es einer Massenverelendung der
ortsansässigen Arbeiterbevölkerung vorzubeugen galt.
Ausweisungspolitik statt Sozialpolitik - Die sozialpolitische Dimension der Fremden¬
polizei im Grenzraum
Gerade in Nachbarschaft diverser Staatsgrenzen bot sich der Rückzug auf eine gemeinsa¬
me, nationalpolitisch motivierte Ausweichtaktik seitens der staatlichen und kommunalen
Entscheidungsträger im Untersuchungsraum an. Ein Konsens zur Verwirklichung aktiver
sozialpolitischer Maßnahmen, wie dem kommunalen Wohnungsbau, mußte hier deshalb
nicht unbedingt erzielt werden, weil die Grenzlage sowohl eine Schuldzuweisung für
akute Mißstände an die ausländischen Migranten nahelegte, als auch die Möglichkeit
bot, durch Abschiebungsmaßnahmen den Eindruck zu erwecken, die sozialen Probleme
in Person der Ausländer gegebenenfalls über die Grenze zurückweisen zu können.
(S.301ff.) Diese Strategie wurde durch die Tatsache begünstigt, daß im Gegensatz zum
rheinisch-westfälischen Industriegebiet die Mehrzahl der Einwohnerschaft der hiesigen
urban-industriellen Agglomerationen dem näheren Umland entstammte, zudem nur
verhältnismäßig wenige "Fremdarbeiter" aus anderen reichsdeutschen Gebieten zugereist
waren und die "Fremdarbeiter" somit relativ leicht mit den "Ausländern" identifiziert
werden konnten. Umfangreichere Teile der "auswärtigen" Industriearbeiterschaft an Rhein
und Ruhr, so auch viele "Nationalpolen" aus den preußischen Ostprovinzen, besaßen die
deutsche Staatsangehörigkeit, obwohl ihre Rekrutierungsgebiete ungleich weiter als
diejenigen der Migranten im Saar-Lor-Lux-Raum von der Industriezone entfernt lagen,
so daß eine Abschiebung rechtlich nicht ohne weiteres möglich war. Die Ausweisung
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