Full text: Migration und Urbanisierung

bereits vor der Industrialisierung im Ortskem ein stadtbürgerlicher Wohnbereich existiert 
hatte, siedelten sich in den beiden ehemaligen Bauerndörfern an Alzette und Saar im 
Zuge der Verstädterung erstmals stadtbürgerliche Schichten an, welche sich eigene 
Wohnbereiche von Grund auf erschließen mußten. Auffällig ist die geographische Aus¬ 
richtung dieser "Viertel" auf die benachbarten traditionellen Stadt gemeinden St .Johann/- 
Saarbrücken bzw. in Esch nach Luxemburg hin. Sonstige Tendenzen zur stadträumüchen 
Binnendifferenzierung blieben eher schwach. Eine gewisse Rolle spielten offenbar 
konfessionelle und landsmannschaftliche Abgrenzungsversuche, obwohl nur hinsichtlich 
der Italiener - möglicherweise aus dem eigenen Gastarbeiterverständnis heraus - eine 
gewisse "Ghettoisierungstendenz" ablesbar ist. Da sich also eine Viertelbildung stadt- 
räumlich nur ansatzweise festmachen läßt, dürften sich soziale Unterschiede insbesondere 
in der Lage von Häusern innerhalb einer Straße oder in der Lage von Wohnungen 
innerhalb eines Hauses niedergeschlagen haben. (S.217ff.) 
Migrationsüberwachung zwischen nationalen Ängsten, revolutionären Befürchtungen 
und bürgerlichem Moralanspruch 
Die Wanderungsbewegungen der Industrialisierungsperiode unterlagen in allen drei 
Teilregionen einer äußerst strengen Überwachung durch die Kommunal- und Staats¬ 
behörden. (S.252ff.) In diesem Rahmen widmete man Arbeitern eine gesteigerte Auf¬ 
merksamkeit im Vergleich zu bürgerlichen Migranten, und Ausländem wurde größeres 
Mißtrauen entgegengebracht als Inländern. Besonders sensibel reagierte man auf 
ausländische Aktivitäten in Grenznähe. In Lothringen trachtete man danach, die Bildung 
von geschlossenen "Franzosenkolonien" oder "Luxemburgersiedlungen" auf reichsdeut- 
schem Gebiet zu unterbinden, um einer nationalen Unterwanderung dieses erst kürzlich 
erworbenen Territoriums, welche den eigenen Germanisierungsabsichten entgegenstand, 
vorzubeugen. Höchst unduldsam zeigte man sich im Falle von Streiks durch Ausländer, 
in denen aufgrund des transnationalen Anspruchs der Sozialdemokratie ein sozialrevolu¬ 
tionäres Potential mit einer nationalpolitisch gefährlichen Komponente gesehen wurde 
und die man mit sofortiger Inhaftierung ahndete, gefolgt von der Ausweisung der Ver¬ 
antwortlichen. Dies geschah allerdings, ohne daß jemals auch nur ansatzweise organisa¬ 
torische Verbindungen zwischen Arbeitsmigranten aus dem Ausland und der deutschen 
Arbeiterbewegung geknüpft worden wären. 
In der zeitgenössischen öffentlichen Diskussion, die sich anhand von einschlägigen 
Verwaltungsberichten und Zeitungsartikeln verfolgen läßt, wurde die gesteigerte Mobilität 
im Industriezeitalter, sofern es um irgendwelche politische Konsequenzen ging, durchweg 
als Ausländerproblem behandelt, obwohl sich der Wanderungsaustausch stets vorrangig 
im kleinräumlichen Rahmen abspielte, d.h. daß die bedeutendsten Bevölkerungsumschich¬ 
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