Full text: Migration und Urbanisierung

Höchstpreisen zu erhalten waren.141 Der Zuzug aus dem Ausland bzw. der deutsche 
"Fremdarbeiterzuzug" war für diese Wohnungsmisere in keiner Weise verantwortlich, 
wenngleich auch hier ein Migrationsfolgeproblem vortag. 
Wohnraum war knapp, und zwar im deutschen wie im französischen Teil Lothringens. 
Kurioserweise mietete in diesem Zusammenhang im Jahre 1893 ein auf französischer 
Seite gelegenes Unternehmen in einem benachbarten deutsch-lothringischen Industrieort 
Wohnungen für seine in Deutschland beheimateten Pendelarbeiter an. Dies löste Proteste 
unter der Belegschaft des örtlichen Industriebetriebes aus, worauf das Gewerbeaufsichts¬ 
amt mangels einer Handhabe auf dem privaten Wohnungsmarkt die Direktion des 
deutschen Werkes an seine Verpflichtung erinnerte, ausreichend Wohnraum für seine 
Arbeiter zur Verfügung zu stellen. Das deutsche Unternehmen tat daraufhin nicht mehr, 
als die protestierenden Arbeiter zu ent- und den Wohnungsbau zu unterlassen, mit der 
Begründung, ihre Wohnungsbaumaßnahmen könnten möglicherweise der französischen 
Seite von Nutzen sein.142 Erst auf die Drohung der Staatsverwaltung hin, sie würde 
die ausländischen Kräfte des Unternehmens ohne entsprechende Unterkünfte des Landes 
verweisen, ging die Gesellschaft an die Errichtung von Arbeiterhäusem.143 
Interessant ist, daß die Reichs landverwaltung - wohl aus früheren Erfahrungen heraus 
- an die Vergabe von Werkskonzessionen offensichtlich die Bedingung knüpfte, das 
Unternehmen habe den Wohnungsbedarf seiner Belegschaft auf eigene Kosten zu sichern. 
Den Beschreibungen der "Fremdarbeiter"-Wohnverhältnisse durch die lothringische 
Verwaltung läßt sich entnehmen, daß es den Behörden ein besonderes Anliegen war, das 
Kost- und Schlafgängerwesen einzudämmen. Zwar wurde das Schlafgängerwesen auch 
seitens der Fabrikanten häufig untersagt, und die größeren Werke bestritten aufgrund 
der Konzessionsauflagen einen mehr oder minder umfangreichen Betriebswohnungsbau, 
durch welchen der Arbeiterschaft zumindest teilweise zweckmäßige Wohnungen be¬ 
reitgestellt werden konnten. Das Untemehmensengagement deckte den Wohnraumbedarf 
in den Industriegemeinden allerdings nur ansatzweise ab, während die Privatanbieter, 
die auf dem Wohnungsmarkt dominierten, in der Regel zu kleine und überteuerte 
Domizile offerierten, weshalb dem Schlafgängerwesen nicht beizukommen war.144 In 
ganz Lothringen standen im Jahre 1898 seitens derjenigen Betriebe, welche überhaupt 
Arbeiterhäuser hatten errichten lassen, für 9.549 ständig anwesende Arbeiter (ohne die 
Saisonkräfte) gerade einmal 1.430 Wohnungen zur Verfügung, d.h. für jede siebte Arbei¬ 
141 Vgl. ADM 8 AL 356: Metzer Zeitung v. 6.0ktober 1897. 
142 Vgl. ADBR 87 AL 4432: Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsbeamten bzgl. 1893. 
143 Vgl. ADBR 87 AL 4631: desgl. bzgl. 1895. 
144 Vgl. ADBR 87 AL 4546: desgl. bzgl. 1894. 
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