sen.103 Im Jahre 1903 kam es in einem großen Arbeiterwohnungsbauprojekt einer
Minengesellschaft in Lothringen zum Ausstand von 510 der insgesamt 550 Arbeiter,
davon mehrheitlich Italiener. Auch sie verlangten höhere Löhne, die zweite Forderung
des 20-köpfigen italienischen Streikkomitees betraf jedoch eine Wiedergutmachung für
die "unwürdige Behandlung seitens eines Beamten der Firma", welche ihnen widerfahren
war.104 Die Betriebsleitung und die Staatsorgane reagierten gemeinsam, und zwar sehr
hart. Drei italienische "Rädelsführer" wurden festgenommen und nach zwei weiteren
Streiktagen hatten die restlichen Arbeiter die Wahl, gemäß der ursprünglichen Kon¬
traktbedingungen weiterzuarbeiten oder aber entlassen zu werden. 94 Italiener kündigten
infolgedessen von selbst ihre Arbeitsstelle.
Arbeiterunruhen duldete die Staatsmacht nicht, schon gar nicht im Grenzgebiet und dort
noch viel weniger seitens ausländischer Wanderarbeiter. Solche Vorgänge unterband man
sofort und mit äußerster Härte. Der Steik von 57 Italienern in Flörchingen wegen Lohn¬
differenzen endete mit der Inhaftierung des Sprechers der Gruppe.105 Anläßlich eines
Lohnstreiks unter Führung eines italienischen Arbeiters in Nieder-Jeutz bei Diedenhofen
erfragte die betroffene Unternehmensleitung polizeiliche Unterstützung mit den Worten:
"Wir glauben, daß einem Ausländer gegenüber wir das Recht haben, um strenge Maßre¬
geln zu bitten und ersuchen daher (...) die kaiserliche Kreisdirektion ganz ergebenst, den
Mann entweder überwachen oder sonstwie maßregeln zu lassen. " Der italienische "Anstif¬
ter" wurde des Landes verwiesen, ein Teil der Streikenden - darunter auch Deutsche
- setzten sich vorsichtshalber aus freien Stücken ins nahe Ausland ab.106
Solidaritätsaktionen zu den keineswegs seltenen Italienerstreiks seitens anderer Arbeiter
kamen in keinem Falle zustande. Organisatorische Kontakte zwischen italienischen und
deutschen oder luxemburgischen Arbeitervereinigungen, welche im Rahmen der interna¬
tionalen Konferenzen der Arbeiterbewegung währen der Untersuchungsperiode nicht
auszuschließen sind, kamen vor Ort nicht zum Tragen. Die Staatsadministration bemühte
sich auch energisch darum, solche Verbindungen nicht zustande kommen zu lassen. Als
sich im Jahre 1903 die deutsche Sektion der Vereinigung zum Schutze der italienischen
Auswanderung (Società Umanitaria) gründete und anschickte, wie bereits in Italien und
in der Schweiz nun auch in Deutschland Auswanderungssekretariate zur Unterstützung
103 Vgl. ADBR 87 AL 3357.
104 Vgl. ADBR 87 AL 4371: Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsbeamten für Lothringen bzgl.
1903.
105 Vgl. ADM 17 Z 20: Polizeibericht v. 14.Juni 1904. Die Streikenden hatten angeblich
Streikbrecher mit Totschlag bedroht.
106 Vgl. ebda.: Brauereiunternehmen in Nieder-Jeutz an die Kreisdirektion Diedenhofen-Ost v.
ö.Mai 1907.
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