Full text: Migration und Urbanisierung

emstzunehmen".97 Die italienische Botschaft im Großherzogtum zeigte sich hingegen 
zutiefst beunruhigt und ließ sich durch den großherzoglichen Ministerpräsidenten der 
"Kontrolle der luxemburgischen Behörden über die Industriegemeinden" versichern, in 
denen zu diesem Zwecke das Polizeiaufgebot verstärkt wurde. Berichte von Rümelinger 
Polizeistreifen alarmierten die Staatsregierung endgültig, welche besagten, am Pfingst¬ 
montag sei geplant, ausgehend von Esch/Alz., wo wegen der örtlichen Kirmes ein "blauer 
Montag" angesagt war, "die Italiener aus dem Erzbecken zu vertreiben".98 Entwarnung 
erteilte man erst, nachdem die Escher Polizei in der Nacht von Pfingstsonntag auf 
Pfingstmontag sowie am Pfingstdienstag telegraphierte, zum einen sei "die Nacht ohne 
Zwischenfall verlaufen" und zum anderen sei, da sich auch tagsüber nichts regte, nunmehr 
"keine Aussicht auf Gefahr".99 Eine massive Polizeipräsenz hatte Schlimmeres verhin¬ 
dern können. 
Auf dem Arbeitsmarkt waren die italienischen Arbeiter vor allem dadurch konkurrenzfä¬ 
hig, daß sie in der Regel niedrigere Löhne als ihre Kollegen akzeptierten.100 Die 
lothringische Gewerbeaufsicht berichtete, daß im Jahre 1901 die Löhne von Tagelöhnern 
aufgrund der Verfügbarkeit italienischer Kräfte im Vergleich zum Voijahr um bis zu 20- 
prozentige Kürzungen erfahren hatten.101 In den Hütten des luxemburgischen Kohle¬ 
beckens beobachtete man nach der Jahrhundertwende, "daß die einheimischen Arbeiter 
in die benachbarten französischen, lothringischen und belgischen Eisenindustriezentren 
auswanderten", weil die billigen italienischen Arbeiter das Lohnniveau nach unten 
zogen.102 
Die Italiener empfanden ihre Entlohnung jedoch keineswegs als gerecht und begehrten 
häufig gegen die überaus niedrige Bezahlung ihrer Arbeitsleistung auf. Ihre Streikbereit¬ 
schaft war wesentlich größer als diejenige ihrer mitteleuropäischen Kollegen. Beispiels¬ 
weise legten im Jahre 1901 in einer lothringischen Kalkbrennerei aufgrund von Lohnfor¬ 
derungen 25 bis 30 Italiener die Arbeit nieder; sie wurden daraufhin allesamt entlas- 
97 Vgl. ebda, die Berichte der einzelnen Stationskommandanten. 
98 Vgl. ebda.: Gendarmerie Rümelingen an den Ministerpräsidenten v. 25.Mai 1897. 
99 Vgl. ebda.: Telegramme des Escher Polizeikommissariats v. 7./8.Juni 1897. 
100 Vgl. allgemein zur italienischen Arbeiterwanderung nach Deutschland vor 1914 die zeitgenöss¬ 
ische Darstellung von Britschgi-Schimmer, Lage der italienischen Arbeiter sowie die zusam¬ 
menfassenden Darstellungen von Del Fabbro, Wanderarbeiter oder Einwanderer? bzw. Italienische 
Wanderarbeiter im Wilhelminischen Deutschland. Vgl. Kapitel D, S.173ff. 
101 Vgl. ADBR 87 AL 3357: Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsbeamten für Lothringen bzgl. 
1901. 
102 Vgl. Britschgi-Schimmer, Lage der italienischen Arbeiter, S.104. 
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