übereignete schließlich im Jahre 1912 der Evangelische Hauptverein für deutsche
Aussiedler und Auswanderer der Trierer Bezirksverwaltung "das Tagebuch eines
ausgewanderten Bergarbeiters (...), welches als Warnung vor unbesonnener Auswanderung
zur Massenverbreitung besonders geeignet erscheinen muß", denn "der drohende Berg-
arbeiter-Ausstand im Saar-Revier wird zumal bei der herrschenden Kriegsfurcht eine
vermehrte Auswanderung von Bergarbeitern zeitigen".90
Eine eventuelle Arbeiteremigration aus dem Grenzbereich konnte schon allein darum
nicht wohlwollend aufgenommen werden, weil durch einen solchen Arbeitskräfteschwund
der mißliebige Einsatz ausländischer Kräfte nochmals zu steigern unumgänglich geworden
wäre, was wiederum eine zutiefst unerwünschte soziale Instabilität des Grenzraumes nach
sich ziehen mußte.
Daneben mißtraute man auch dem oszillierenden Binnenwanderungsgeschehen innerhalb
der Grenzregion, in welcher Wanderarbeiter unterschiedlichster Herkunft permanent
zwischen den einzelnen Hoheitsgebieten hin und her wechselten. Ein ausdrucksstarkes
Beispiel für das zeitgenössische Stimmungsbild unter bürgerlichen Bevölkerungsteilen
sei als Beleg angeführt: In Diedenhofen fühlten sich die Bürger durch eine kurios
anmutende, grenzraumspezifische Faktorenkombination aus Grenzlage, Stadterweitung
und Wanderungsbewegungen latent in einer Weise bedroht, daß sie sich genötigt sahen,
eine personelle Aufstockung der Schutzpolizei einzufordem. Denn "das Fallen der Tore
und Wälle, das Entstehen einer Anzahl neuer Bauten in der Neustadt, die zerstreute Lage
der Neubauten und der Zuzug vieler fremder Arbeiter, sowie die Lage der Stadt Die¬
denhofen an drei Grenzen lassen die Vermehrung der Polizei als ein dringendes Gebot
erscheinen".91 Diese Einschätzung der Lage stellte keineswegs die Ausnahme dar. Zwei
Jahre später wurde im Landesausschuß von Elsaß-Lothringen durch 16 Abgeordnete
offiziell der Antrag gestellt, "die Regierung zu ersuchen, im Hinblick auf die zunehmende
Unsicherheit im industriellen Grenzgebiete Lothringens, baldigst eine Vermehrung der
Gendarmerie in dem bezeichneten Gebiete vorzunehmen".92 Hinsichtlich des lothringi¬
schen Industriegebiets, namentlich an der Grenze zu Frankreich, und angesichts der sich
mehrenden Ausschreitungen an der luxemburgischen Grenze müsse man die Regierung
90 Vgl. ebda.: Evangelischer Hauptverein für deutsche Aussiedler und Auswanderer (EHVAA)
an das RPTr v. 18.Dezember 1912 mit folgender Anlage: Splittorf, Rudolf: Bleib’ im Land und
nähre Dich redlich. Aus meinem brasilianischen Tagebuch, hg. v. Auswanderer-Anwalt Pfarrer
Grisebach, (=Der Auswandererfreund. Veröffentlichungen des EHVAA in Witzenhausen, H.2),
o.O, oJ.
91 Vgl. ADM 10 AL 78-80: Gemeinderatsberichte der Stadt Diedenhofen, hier: Sitzung v.
ll.Dezember 1905 (TOP 20: Vermehrung der Schutzpolizei).
92 Vgl. ADBR 39 AL 141: Antrag an den Landesausschuß von Elsaß-Lothringen v. 23.Aprü
1907.
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