Full text: Migration und Urbanisierung (23)

und somit zur Zeit der Großjährigkeit auch der deutschen Militärpflicht unterliegen 
würden. Eine praktische Umsetzung jedoch erfuhr auch diese Initiative nicht.77 
Es zeigt sich jedenfalls, wie sehr die Politik auf eine nationalstaatliche Abgrenzung zielte, 
wobei leitende Verwaltungsbeamte Gedankenspiele anstellten, in welchen man eher 
Staatsbürger wie Leibeigene zu transferieren gedachte als sozialpolitisch mit den 
Nachbarstaaten zu kooperieren, seien sie (wirtschaftlich) verbündet wie Luxemburg oder 
verfeindet wie Frankreich. 
Ein "Dom im Auge" der Staatsführung waren darum von ausländischen Kapitalgebem 
kontrollierte Industrieunternehmen wie die Burbacher Hütte, welche im Jahre 1889 "die 
Werke des Bezirkes überflügelt [hatte, obwohl] die Gesellschaft fast ausschließlich aus 
ausländischen Actionären besteht und ihren Sitz in Brüssel hat", zumal die Buchführung 
zu diesem Zeitpunkt noch eine französische war.78 Im Malstatt-Burbacher Falle 
begnügte man sich mit einer mißtrauischen Beobachtung des Geschäftsbetriebes. In 
Lothringen, wo etwa die französische Untemehmerfamilie de Wendel über Werksanlagen 
verfügte, versuchte man arbeitsmarktpolitisch in die Industriebetriebe hineinzudirigieren. 
Die Innenabteilung des Reichslandministeriums teilte dem lothringischen Bezirks¬ 
präsidenten im Jahre 1900 mit, die Verwaltung müsse "sich angelegen sein lassen, das 
ausländische Element in der Leitung der Betriebe ohne Rücksicht darauf, ob die 
Gesellschaft ihren Sitz im Inlande oder im Auslande hat, mit den ihr zu Gebote stehenden 
Mitteln zurückzudrängen".79 Er forderte die genaue Kontrolle derjenigen Betriebe, von 
denen der Kreisdirektor in Metz ihm berichtet habe, "daß sie schädigend auf die 
Germanisierung wirken, indem die deutsche Sprache unterdrückt, die französische 
gebraucht und deutschsprechende Beamte unter Ersetzung durch Ausländer beseitigt 
werden".80 Vorausgegangen war dieser konkreten Handlungsanweisung eine Bezirks¬ 
polizeiverordnung für Lothringen, welche ebenfalls durch das Reichslandministerium 
lanciert worden war. Im Musterentwurf zu dieser Verordnung hieß es: "Mit Rücksicht 
auf die Gefahren, welche für die Sicherheit der Arbeiter in den mit Herstellung und 
Verarbeitung von Roheisen beschäftigten Betrieben dadurch entstehen, daß Betriebsleiter 
und Aufsichtsbeamte der deutschen Sprache nicht genügend mächtig sind (...) dürfen 
zur Leitung und Beaufsichtigung des Betriebs und der Arbeiter in Hochofenanlagen, 
Stahlhütten, Eisen- und Stahlwerken, Gießereien und Schmelzereien nur solche Personen 
77 Vgl. ADBR 27 AL 228: MinEL an den Statthalter v. lO.März 1903. Gerade diese Diskussion 
hat im Deutschland der 1990er Jahren an neuer Aktualität gewonnen. 
71 LHA Ko 403/8321: Jahresbericht zur Lage der Industrie v. 25.Oktober 1885. 
79 Vgl. ADM 8 AL 10/11: Innenabteüung des MinEL an das BPLo v. 14.Mai 1900. 
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