Wanderungsbewegungen in der Hochindustrialisierungsperiode und die Publikation von
Heberle und Meyer noch immer als die entscheidenden Meilensteine der modernen
deutschen Binnenwanderungsforschung. Die genannten Autoren gingen davon aus, daß
es für den Versuch, die Gesamtmigration zu erfassen, unverzichtbar sei, auch eine Ana¬
lyse der Zusammensetzung der Wanderungsströme vorzunehmen. "Die bisherigen
Untersuchungsergebnisse stützten sich auf die Arbeitshypothese, daß die Zusammenset¬
zung der Wanderungsgewinne nicht repräsentativ ist für die Zusammensetzung der Ge¬
samtmigration.’,3° Die Ergebnisse von Heberle/Meyer und Langewiesche zeigen dem¬
gegenüber, vor welch immensen gesellschaftspolitischen Problemen die Städte in der
Industrialisierungsperiode tatsächlich standen, da nämlich die Wanderungsbewegungen
ein wesentlich größeres Volumen aufwiesen, als es der Wanderungsgewinn, der sich
beispielsweise bei Einwohnerzählungen zeigte, vermuten läßt.
Die beiden von Gerd Hohorst und Peter Marschalck verfaßten Überblickswerke zur
historischen Bevölkerungsentwicklung Deutschlands basieren ebenfalls auf der traditionel¬
len Makroperspektive.31 Gerd Hohorst bediente sich dabei explizit eines bevölkerungs¬
wissenschaftlich-entwicklungstheoretischen Ansatzes, um den Zusammenhang zwischen
der Wirtschafts- und der Bevölkerungsentwicklung Preußens zu qualifizieren.
Die zahlreichen Arbeiten von Klaus J. Bade zum Problemkreis Immigration, Emigration,
Ausländerpolitik und Arbeitsmarkt im Deutschland des 19. und 20. Jahrhundert haben
gleichfalls einen gesamtstaatlichen bzw. größeren regionalen Bezugsrahmen.32 Urbane
Migrationsphänomene werden nur sekundär angesprochen. Bades Forschungen sind darum
eher mit Studien in Zusammenhang zu bringen, in welchen nationale Migrantengruppen
Beachtung finden, als mit Arbeiten zu inter- und innerstädtischen Wanderungsbe-
30 Langewiesche, Mobüität, S.72.
31 Hohorst, Gerd: Wirtschaftswachstum und Bevölkerungsentwicklung in Preußen 1816 bis 1914,
Diss. Münster 1975; Marschalck, Bevölkerungsgeschichte.
32 Bade, Klaus J. (Hg.): Arbeiterstatistik zur Ausländerkontrolle. Die ’Nachweisungen’ der
preußischen Landräte über den 'Zugang, Abgang und Bestand der ausländischen Arbeiter im
preußischen Staate' (1906-1914), in: AfSG 24/1984, S. 163-284; ders. (Hg.): Auswanderer-Wan¬
derarbeiter-Gastarbeiter. Bevölkerung, Arbeitsmarkt und Wanderung in Deutschland seit der Mitte
des 19.Jahrhunderts, 2 Bde., Ostfildern 1984; ders.: Bevölkerung, Arbeitsmarkt und Wanderung
im Wandel vom Agrar- zum Industriestaat, in: Ploetz - Das Deutsche Kaiserreich, hg. von Dieter
Langewiesche, Freiburg-Würzburg 1984, S.73-80; ders.: Massenwanderungen und Arbeitsmarkt
im deutschen Nordosten von 1880 bis zum ersten Weltkrieg. Überseeische Auswanderung, interne
Abw-anderung und kontinentale Zuwanderung, in: AfSG 20/1980, S.265-324; ders. (Hg.):
Population, Labour and Migration in 19th and 20th Century Germany, Leamington u.a. 1987;
ders.: ’Preußengänger' und 'Abwehrpolitik'. Ausländerbeschäftigung, Ausländerpolitik und
Ausländerkontrolle auf dem Arbeitsmarkt in Preußen vor dem ersten Weltkrieg, in: AfSG 24/1984,
S.91-162; ders.: Vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland? Deutschland (1880-1980),
Berlin 1983.
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