Schmied oder ein Klempner in einer Phase zu vollziehen gezwungen war, in welcher
ein Handwerker(ausbildungs)überschuß in ländlichen Gebieten zeitlich und regional
zusammeniiel mit dem Arbeitskräftebedarf expandierender Industriebetriebe in den
benachbarten Urbanisierungszonen - wie der an der mittleren Saar. Prototypisch konnte
sich beispielsweise folgende Karriere ergeben: die Lehrzeit wurde in einem kleinen
Zunfthandwerksbetrieb absolviert, die Wander- und Gesellenjahre brachten erste Kontakte
mit Werkstätten im industriellen Einflußbereich (Land-Stadt-Wanderung) und langsam
erfolgte der Übergang von dezidiert handwerklichen Tätigkeiten zu vom industriellen
Fertigungssprozeß bestimmten oder per sc industriellen Arbeitsgängen (Stadt-Stadt-
Wanderung, Industriezonenaustausch).
Andererseits faßten im industrialisierten Handwerk solche Bevölkerungskreise Fuß, denen
der Zugang zum Zunfthandwerk aufgrund überkommener regionaler Sozialstrukturen
bislang versagt geblieben war. D.h. im industrialisierten Handwerk waren bemerkens¬
werterweise auch Personenkreise vertreten, welche jm traditionellen Handwerk außen
vor geblieben waren. Unter Berücksichtigung der Konfessions-und Wirtschaftsstruktur
der ehemals nassau-saarbrückischen Gebiete berechtigt der vergleichsweise hohe Katho¬
likenanteil unter den industrialisierten Handwerkern zu dieser Annahme. Neben
geographischen und infrastrukturcllcn Gesichtspunkten bildete an der Saar also auch die
konfessionelle Herkunft einen Faktor im industrialisierungsbedingten Wandel des
Handwerkerstandes.180
180 Dieser empirische Befund bestätigt die Forschungsergebnisse von Jürgen Kocka bezüglich
des Wandels berufsständischer Identität von Handwerksgesellen und zur Herauslösung der
Handwerkerschaft aus einem ständisch-zünftischen Kontext im sich industrialisierenden Deutsch¬
land des 19. Jahrhunderts für die südwestdeutsche Industrieregion. Vgl. hierzu ausführlich Kocka,
Jürgen: Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen. Grundlagen der Klassenbüdung im 19. Jahr¬
hundert (=Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit Ende des 18.
Jahrhunderts, Bd.2), Bonn 1990, S.329ff. bzw. S.335ff. Vgl. außerdem zur Differenzierung
zwischen Handwerkern und Arbeitern während der Hochindustrialisierungsperiode: Ritter, Gerhard
AVTenfelde, Klaus: Arbeiter im Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914, (=Geschichte der Arbeiter
und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, BdJ), Bonn 1992,
S.272ff. Ritter/ Tenfelde unterscheiden zwischen Handwerksgesellen (hier: Zunfthandwerker),
Gesellenarbeitem (hier: industrialisierte Handwerker), Industriearbeitern (hier: Facharbeiter) und
ungelernten Fabrikarbeitern (hier: angelernte u. Hilfsarbeiter).
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