Es scheint, die luxemburgische Gemeinde gab sich - aufgrund bestimmter sozio-
ökonomischer Grunddispositionen - schon im ausgehenden 19. Jahrhundert weniger
provinziell auf den engeren Saar-Lor-Lux-Raum hin orientiert und daher etwas
"europäischer" als seine beiden Vergleichsstädte, obwohl daneben eine Vielzahl spezifi¬
scher sozio-ökonomischer Gemeinsamkeiten und Austauschbeziehungen einen zu¬
sammenfassenden Raumbegriff für die drei Teilregionen, denen Diedenhofen, Esch und
Malstatt-Burbach angehören, rechtfertigen.
Ein wesentlicher Aspekt ist in diesem Zusammenhang, daß die strukturelle Distanz, d.h.
die graduellen Unterschiede hinsichtlich des urban-industriellen Entwicklungsniveaus,
zwischen den untersuchten Industriegemeinden sowie den Herkunfts- und Zielregionen
ihrer mobilen Bevölkerungsteile zwischen 1850 und 1910 zunehmend geringer wurde.
Gemeint ist damit, daß aus dem Blickwinkel der Untersuchungsgemeinden eine Verlage¬
rung der geographischen Rekrutierungsschwerpunkte zustande kam.164
Zwar spielte sich das Wanderungsgeschehen seitens der Industriestädte Diedenhofen,
Esch/Alz. und Malstatt-Burbach schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend
mit den Kreisen ab, die letztlich selbst einer industriell-urbanen Entwicklung unterworfen
waren. Doch verlor der ohnehin nur in recht begrenztem Maße stattfindende Wande¬
rungsaustausch dieser städtischen Gemeinwesen mit ausgesprochen dörflich-monostruktu-
rellen Regionen weiterhin sukzessive an Bedeutung. Der Industriezonenaustausch war
es, der sich intensivierte. Die Migrationsbewegungen vom Land in die Stadt und umge¬
kehrt traten quantitativ endgültig in den Hintergrund, nachdem die anfänglich anscheinend
noch umfangreichen Übervölkerungspotentiale landwirtschaftlich dominierter Gebiete
in die expandierenden industriellen Verstädterungszonen erschöpft waren. Das ländliche
Übervölkerungsproblem des Pauperismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde
mit der Industrialisierung in der Saar-Lor-Lux-Region sehr schnell ein typisch urbanes
Problem. Dies belegt u.a. die Entwicklung der städtischen Behausungsziffem im
ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.
164 Die hier vorgenommene Analyse erlaubt diesen Schluß nur im Sinne einer Verlagerung der
geographischen Rekrutierungsschwerpunlcte, unabhängig von individuellen Entwicklungsfort-
schritten einzelner Rekrutierungsgebiete, weil die Rangparametrisierung des Stichjahres 1910
für die gesamte Untersuchungsperiode beibehalten wird.
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