Full text: Die monastische Schriftkultur der Saargegend im Mittelalter (20)

Letzterer hat auf jeden Fall die Beschaulichkeit des Saartals mit der fremdartigen Küsten¬ 
landschaft Nordhollands vertauschen müssen, wofür nicht nur die Formulierung der Mi- 
racula S. Liutwini (ad Ekmundam missus) sondern auch die intime Detailkenntnis der 
Adalbertsvita „vor Ort“ spricht. Die Wundererzählung des Kapitels 12, in der ein hoher 
Sandberg die kleine hölzerne Kirche bedroht und der von Adalbert über Nacht in sichere 
Entfernung verbannt wird, ist nämlich eine adäquate Beschreibung des Phänomens der 
Wanderdünen, die gerade in der Periode von 800-1200 charakteristisch für die Formation 
der nordholländischen Dünenregion waren.134 Ferner weiß Ruopert, daß die Wohnung 
eines gewissen Ruosekin nicht weit vom Kloster Egmond liegt, dessen Bau unter dem 
spürbaren Mangel an Kalk und Steinen in der Gegend litt.135 Sein längerer Aufenthalt in 
Fiolland läßt ihn sogar die Mentalität der verarmten Küstenbewohner erahnen: die Angst 
der Bevölkerung vor der Verlassenheit dieser Region nach den verheerenden Plünde¬ 
rungen der Normannen im 9. Jahrhundert steht im Hintergrund der Eggo-Episode in Ka¬ 
pitel 5/6, wie auch umgekehrt bei Ruoperts eigenwilligem etymologischen Erklärungsver¬ 
such für den Namen Egmond136 die etablierte Herrschaft der holländischen Grafen im 10. 
Jahrhundert anklingt. 
Die Aussagen Ruoperts über die Gründungsgeschichte der Abtei Egmond haben mittler¬ 
weile durch umfangreiche Ausgrabungen eine glänzende Bestätigung erfahren;137 in Er¬ 
gänzung der wenigen Urkunden ist folgendes Datengerüst Konsens der Forschung: 
± 740 Tod Adalberts und Bestattung etwa 1,5 km von späterer Abtei entfernt138 
± 922 Graf Dietrich I. erhält die Kirche von Egmond und gründet ein kleines Nonnen¬ 
kloster mit Holzbauten 
± 950 Ersetzung der Nonnen durch Genter Mönche und Bau einer steinernen Abtei¬ 
kirche 
Der historiographische Wert der Vita ist denn auch von der niederländischen Forschung 
voll anerkannt worden,139 während ältere deutsche Standardwerke hier recht pauschali¬ 
sierend verfahren.140 Letzteren ist zuzubilligen, daß Ruopert vom heiligen Adalbert selbst 
134 Periode der sogenannten „jonge Duin“ (nach Tabellen im Dokumentationszentrum Castricum, 
Niederlande); für den Versuch einer Systematisierung der Wunder des Heiligen s. Zoepf, Hei- 
ligen-Leben, S. 163, 190, 197, 204; eine fundierte geographische Auswertung der Beobach¬ 
tungen des „buitenlanders“ Ruopert bei Rentenaar, Nederlandse Duinen 
135 Vita Adalberti, cap. 18 u. 23 
136 cap. 10: Egmond = haec munda = dies ist rein (nämlich von den normannischen Einfällen); in 
Wirklichkeit Egmond = Mündung des Eg, eines noch in römischer Zeit existierenden kleinen 
Flusses in Nord-Süd-Richtung. Nimmt man den Personennamen Eggo hinzu, mit dem Ruopert 
einen Bezug zu Egmond zumindest suggeriert, so verkörpert er vorzüglich die von den übrigen 
Mettlachern her vertraute Lust am etymologischen Fabulieren, vgl. Rentenaar, Topografische 
structuur, S. 334ff. 
137 Erschöpfende Dokumentation bei Cordfunke, Opgravingen 
138 Die präzise Jahresangabe 740 ist erst spat überliefert und gemahnt verdächtig an Willibrords To¬ 
desjahr 739. Streng genommen sollte man sich mit einer Datierung in die erste Hälfte des 8. Jh. 
bescheiden. 
139 vgl. z.B. Hof, De abdij van Egmond, S. 19: „Want Ruopert was hagiograaf en niet de eerste de 
beste. . . “ Angesichts der wenigen Angaben der Vita zu Adalbert selbst urteilt Cordfunke, Opgra¬ 
vingen, S. 13 zu überschwenglich: „Ruopert. . . heeftonsmetdeze Vita een werk nagelatenwaar 
van de betekenis ver uitgaat boven die van een stereotiep heiligenleven.“ 
140 „Fast ohne eigenen historischen Gehalt“ (Wattenbach/Holtzmann 1,1/2, S. 173); „Das Ganze ist 
eher eine Übung des wegen seines Wortreichtums grotesken Stils des Verfassers als eine historio¬ 
graphische Arbeit. . .“ (Manitius II, S. 425f.) 
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