Einleitung
Die Bedeutung von Energie rückte nach Jahren des Überflusses an billigen Rohstoffen
unter dem Eindruck der Folgen der Olpreisschübe 1973/74 und 1979/80 erstmals nach
langer Zeit verstärkt in das öffentliche Bewußtsein. Volkswirtschaftliche Fehlentwick¬
lungen wie steigende Arbeitslosigkeit, höhere Preissteigerungsraten bei realen Wach¬
stumsverlusten sowie Leistungsbilanzdefizite, zu wesentlichen Teilen hervorgerufen
durch die Verteuerung und Verknappung von Energie, zogen weitreichende Konse¬
quenzen in der Energiepolitik und -Wirtschaft nach sich1. Auf dem Gebiet der Strom¬
erzeugung setzten nahezu alle Industriestaaten auf den verstärkten Ausbau der Kern¬
energie, um eine größere Unabhängigkeit in der nationalen Energieversorgung zu er¬
reichen. Diese Zielsetzungen erlitten im Mai 1986 durch den Reaktorunfall von
Tschernobyl ihren bislang schwersten Rückschlag. Nicht nur die Kernenergie speziell,
sondern auch elektrischer Strom und die Elektrizitätswirtschaft allgemein gerieten in
die zu großen Teilen hochemotionale öffentliche und veröffentlichte Meinung. Rund
100 Jahre nach dem Beginn der öffentlichen Elektrizitätsversorgung in Deutschland2
kam die elektrische Energie nach Jahren des scheinbar unaufhaltsamen Aufstiegs je¬
doch vor allem auf dem Wärmemarkt unter den stärksten Substitutionsdruck in ihrer
Geschichte3. In der oftmals unsachlich geführten und teilweise von einer modischen
Technikaversion geprägten Diskussion wurde häufig übersehen, daß gerade elektri¬
sche Energie in vielen Fällen zu den notwendigen Voraussetzungen für die allseits ge¬
forderten Maßnahmen zur Energieeinsparung gehört. Erst der Einsatz von elektri¬
schem Strom beispielsweise in der Meß-, Steuer- und Regeltechnik ermöglichte auf
diesem Gebiet bedeutende Fortschritte, um ein Beispiel der vielfältigen Anwendungs¬
möglichkeiten zu nennen.
Unser geschärftes Bewußtsein von den Problemen der Energieversorgung und -technik
verhilft uns aber vielleicht gerade dazu, einen leichteren Zugang zur historischen Ent¬
wicklung des wichtigsten Sekundärenergieträgers, der Elektrizität, zu finden4. Elek¬
trische Energie war jahrzehntelang Quelle unseres wachsenden Wohlstandes, der pro
Kopf-Verbrauch wichtiges Indiz für den internationalen Rang eines Industriestaates.
Entwicklungspolitische Konzepte zur Überwindung der wirtschaftlichen Notlage in
den Entwicklungsländern sahen nach dem Zweiten Weltkrieg in der Elektrifizierung
— getreu dem Vorbild der heutigen Industriestaaten — die Möglichkeit, die ökonomi¬
schen und sozialen Rückstände jener Regionen aufzuholen5. Elektrizität stand aber
auch bereits in den Anfängen ihrer Verbreitung jenseits jeglicher Ideologie: Unter dem
1 Vgl. Holtfrerich (1983), S. 3ff.; Hauser (1983), S. 131ff.; Schulz (1980), S. 377ff.;
Sandgruber, Energieverbrauch (1982), S. 79ff.
2 100 Jahre öffentliche Stromversorgung in Deutschland (1984), S. 401ff.
3 Vgl. Kel t sch, Krise (1979), S. 3ff.; ders., Deutsche Elektrizitätswirtschaft (1979), S. 475ff.;
Boeck (1979), S. 469f.
4 Zu den dieser Arbeit zugrundeliegenden Fachbegriffen vgl.: Lueger (1965), S. 280ff.; Be¬
griffsbestimmungen in der Energiewirtschaft (1978). Zu Wesen und Besonderheiten der
Elektrizitätswirtschaft vgl. Wessels (1961); Kruse (1972), S. 209ff.; Förster (1973),
S. 60ff., 105ff.; Schneider, Energieversorgung (1980), S. 362ff.
5 Vgl. Holzer (1961); Spoecker (1960); Ghanie (1960); Elektrifizierung und Wirt¬
schaftswachstum (1963), S. 143ff.; Role and Application of Electrical Power (1965);
Fischer (1969).
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