6. Craudingus*1* (?—■vor 662/75):
Die von Richard von St. Vanne zwischen 1020/46 verfaßte, Vita S. Chraudingi* hat
den Gründer der Abtei Beaulieu (Uuaslogium) in den Argonnen westlich Verdun
mit dem Tholeyer Abt Craudingus identifiziert, ob zu Recht oder zu Unrecht,
kann nur eine Analyse der Vita zeigen, welche die Intentionen Richards von den
Nachrichten und Quellen, die ihm zu Gebote standen, zu scheiden versucht424 425:
Die, Vita S. Chraudingi* war nicht verbreitet. Die einzige bekannte Handschrift ist
Cod. Chälons-s-Marne B. M. 57 und wurde gegen 1100 im Kloster St. Pierre-au-
Mont in Chälons geschrieben426. Richard von St. Vanne, über dessen Verfasser¬
schaft wir aus seiner Lebensbeschreibung informiert sind427, hatte neben St. Vanne
in Verdun und Beaulieu, wo er um 1015 einen Klosterneubau durchführte und ein
Reliquiar für die Reliquien des hl. Chraudingus hersteilen ließ428, zeitweilig (be¬
reits vor 1028) auch St. Pierre geleitet429. Es ist eine ansprechende Vermutung, daß
die Vorlage des Legendars, das auch zwei Kölner Viten, die des hl. Gereon und der
einer Kultblüte entgegengehenden hl. Ursula430 enthielt, durch Richard nach
Chälons kam431, der eine kleine Mönchskolonie samt notwendigen Büchern in das
Champagne-Kloster entsandt hatte.
Richard von St. Vanne steht mit seiner Vita durchaus in der Tradition der Verdu¬
ner Hagiographie des späten 10. Jahrhunderts. Die ,Vita S. Pauli* wird z.Teil
wörtlich ausgeschrieben432, im Tugendkatalog orientiert sie sich zusätzlich an der
,Vita S. Madelvei*433 und auch die ,Vita S. Magnerici* seines Trierer Freundes
Eberwin von St. Martin war ihm bekannt434.
424 Vgl. o. S. 48 Nr. 6.
425 Vgl. über Craudingus (St. Rouin) und seine Gründung Beaulieu: Roussel, Histoire Ver¬
dun I 147 f. II 195 Ff. ; Clouet, Histoire Verdun I 172 ff. ; Buirette, Histoire, passim; Di-
diot, St. Rouin, passim; Lemaire, Recherches 18 ff. 156 ff.; Bonnet, Histoire St. Rouin
1 ff.; Leriche, Argonne 24 ff.; Ewig, Trier 122; Thiele, St. Rodingus 337 ff.; Prinz,
Mönchtum 109, 138 ; Dauphin, Abbé Richard 232 f. ; Arnod, Lorraine 133 ff. ; Gauthier,
Evangélisation 343 f.
426 AA SS Sept. V 513-517. Vgl. Levison, in: Bonner Jbb. 132 (1928) 141. Eine jüngere, hi¬
storisch wertlose Vita findet sich bei Menard, Martyrologium 690-695. Wertlos sind
auch die Nachrichten bei Wassebourg, Antiquitez II, F. 17.
427 Vita S. Richardi, c. 12, ed. Mabillon, AA SS OSB saec. VI, 1, 525; MG SS XI286: ...San-
cti Rodingi confessons, cujus ipse Vitam honorifico sermone composuit.
428 Lemaire, Recherches 18 ff.; Dauphin, Abbé Richard 233.
429 Dauphin, Abbé Richard 217 f.
430 Vgl. Levison, Ursula-Legende; Coens, Vierges martyrs 89 ff.
431 Zur Datierung der ,Vita S. Chraudingi*: Sackur, Richard 31 f. ; Dauphin, Abbé Richard
288 ff., setzen den Beginn der Abtscnaft Richards in Beaulieu um 1015 an. Prior war
Poppo, der seit 1020 Stablo, seit 1022 auch St. Maximin leitete. Nach Levison, Geschich¬
te 67, zitiert die Vita die durch Poppo vorgenommene Umdeutung des Klosternamens
Waslogium > Belluslocus. Sie wäre also erst nach Poppos Aufenthalt in Beaulieu, nach
1020, zu datieren.
432 Besonders Kap. 1 zitiert wörtlich Kap. 3 der ,Vita S. Pauli1. Vgl. Levison, Geschichte 67.
433 Vgl. o. S. 71 ff.
434 Das gilt vor allem für die Parallelisierung Kolumbans und Gallus mit dem angeblichen
Begleiter Chraudingus, AA SS Sept. V514 A, die in der, Vita S. Magnerici* bereits vorbe¬
reitet sind. Es gilt aber auch für die aus diesem Text übernommene Problematik des
Mönchs zwischen Anachorese und Coenobitentum. Vgl. Haubrichs, Basenvillare 11 ff.
98