, Vita S. Magnerici‘ in den Personen der Vorzeiteremiten Wulfilaich, Paulus, Wan-
delinus, Disibodus, Carileffus und Ingobertus aufklingen lassen und später an ei¬
nem zeitgenössischen Beispiel, dem hl. Simeon von Trier, der sich beiden auf einer
Palästinawallfahrt angeschlossen hatte, noch einmal ausgeführt. Dieser Motiv¬
komplex ist für die , Vita S. Chraudingi' so wichtig, daß man hat sagen können, sie
sei „un document de premier ordre sur l’appel à la vie solitaire au cours du XIe sièc¬
le“448.
In den gleichen Motivkomplex gehört auch die Hibernisierung des Helden449, die
trotz der unzweifelhaft germanischen, aber für Richard wohl nur noch unbe¬
stimmt archaisch und fremd klingenden Namen des Chraudingus und seines Nef¬
fen Chroduinus durchgeführt wird450. Denn gerade an den irischen peregrini des
10. Jahrhunderts ließ sich das aktuelle Problem für alle Zeitgenossen aufweisen.
Hier spielen sicherlich persönliche Erfahrungen mit. St. Vanne war unter Bischof
Heimo von Verdun (988/90-1024) durch den Iren Fingenus (t 1004) und sieben
irische Mönche reformiert worden, die aber offenbar nicht nach der Regel Bene¬
dikts leben wollten451. Richard war in St. Vanne eingetreten, aber wieder gegan¬
gen, als er feststellen mußte, daß ein reguläres Leben im Kloster sich nicht einfüh¬
ren ließ452. So stellt er seinen Zeitgenossen mit dem Gründer von Beaulieu neben
Columban und Gallus eine weitere Mönchspersönlichkeit vor Augen, der es ge¬
lungen war, die irische peregrinatio einzubinden in die Strenge monastischer Re-
gularität, ohne den Willen zur Perfektion im Anachoretentum aufgeben zu müs¬
sen. Viele Iren folgten in diesem Falle, wie die Vita ausführt, dem Beispiel des
Chraudingus.
Alles also, was mit dem angeblichen Irentum des Heiligen von Beaulieu zusam¬
menhängt, verdient als tendenziöse Erweiterung keinerlei Vertrauen. Die histori¬
sche Existenz des Chraudingus kann jedoch kaum bestritten werden453. Berthar
448 Bonnet, Histoire St. Rouin 11. Vgl. zu anachoretischen Tendenzen in der Frömmigkeit
Lothringens im 11. Jh. Parisse, Vie 31 ff. Zum Problem des Wechsels zwischen eremiti¬
schen und coenobitischen Phasen im Mönchsleben vgl. allgemein Leclercq, Mönchtum
212 ff. In Simeon, dem aus dem Orient gekommenen späteren Trierer Einsiedler, kannte
Richard von St. Vanne einen konkreten Fall dieser Problematik, in dem er sein eigenes
Mühen gespiegelt sah. Simeons Vita schrieb Richards Freund Eberwin von Tholey (vgl.
u. S. 168 ff.).
449 Vgl. J. Hennig, in: Irish Ecclesiastical Record Nr. 95 (Dublin 1961) 137; Hennig, Irland¬
kunde 688 f. 693 f. ; Bieler, Irland 107. Gelegentlich wird der Gründer von Beaulieu noch
in der heutigen lothringischen Geschichtsforschung für einen Iren gehalten: Vgl. Parisse
u.a., Hist. Lorraine 101.
450 Das geschah auch anderen Heiligen mit unzweifelhaft germanischen Namen im 10./11.
Jh., z. B. Fridolenus von Säckingen, Disibodo und Wandalenus. Vgl. Koch, St. Fridolin,
passim; Selzer, St. Wendehn 30 ff.; Haubrichs, Basenvillare 14 f.
451 Schultze, Klosterreform 57-78; Sackur, Richard 7 f. ; Dauphin, Abbé Richard 70. Die
persönliche Erfahrung Richards mit irischen peregrini spiegelt sich in folgendem Satz der
Vita c. 13 (AA SS Sept. V 516 E):... erat enim, ut suntplurimi nationis Scotorum, astrolo-
fiae peritus.
ackur, Richard 7 f. ; Dauphin, Abbé Richard 73 f. ; Semmler, Iren 950 f. ; Bulst, Mönch¬
tum 961 f.
453 Vgl. zur Quellenkritik der „Vita S. Chraudingi“ Bonnet, Histoire St. Rouin 3 (Betonung
mündlicher Quellen); Levison, Geschichte 67; Thiele, St. Rodingus 337 ff.; Gauthier,
Evangélisation 343 f.
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