sehe Diplomat und politische Schriftsteller Wladimir Olivier d’Ormesson teilnahmen, im
Zusammenhang mit dem von ihm verfochtenen Standpunkt einer Einverleibung der Saar
durch Frankreich auf lange Sicht von dem besonderen Charakter der saarländischen Be¬
völkerung sprach, den er als günstigen Ausgangspunkt für eine Naturalisation der tradi¬
tionell deutschen Saarbevölkerung ins Feld führte. Der richtige Weg zu diesem Ziel sei
eine spezielle Gesetzgebung, die, von praktischen Gesichtspunkten ausgehend, in erster
Linie ein Werkzeug der Assimilation darzustellen habe45. Ähnlich argumentierte auch die
Verdier-Kommission wenige Monate später46. Nach ihren Empfehlungen war die glatte,
ungehinderte Eingliederung der Saarwirtschaft in das französische Wirtschaftsleben
durch eine Kulturpolitik abzusichern, die in ihrer Wirkung darauf auszurichten sei, daß
die Saarländer dem Zauber des französischen Kultureinflusses und der Anziehung der
diesem innewohnenden Qualitäten verfallen, damit sie uns wirklich nahekommen und
aufrichtige, selbstlose Mitglieder jener politischen Gemeinschaft der Union Française
werden.47 Das von französischer Seite und von Hector im Jahre 1945 ausgesprochene Ziel
einer allmählichen Romanisierung ist später von den Gegnern einer autonomen Saar auch
für den Zeitraum nach 1946 befürchtet worden. In ihren Anklagen benutzten sie stets das
Schlagwort von einer geschickt getarnten „pénétration culturelle“, die Frankreich nach
wie vor im Auge habe.48 Die Realität bestätigt jedoch einen solchen Willen nicht. Die
Grundsatzentscheidung für eine kommende Wirtschafts- und Währungsunion war zu¬
gleich eine Entscheidung für eine kulturpolitische Strategie, die die deutschen Kulturtra¬
ditionen an der Saar als gegeben hinnahm und jenen Gruppen an der Saar kulturpolitische
Gestaltungsfreiheit zubilligte, die sich zu einer Zusammenarbeit mit Frankreich bereit¬
fanden. Für einen solchen Weg der Kooperation, der im Grunde schon im Jahre 1945 er¬
spürbar war, sprach zudem die bereits erwähnte innen- und außenpolitisch zu erwartende
massive Kritik und die Möglichkeit von Sanktionen, die eine kompromißlos das Prinzip
der Selbstbestimmung ignorierende Politik des Alles oder Nichts nach sich gezogen hätte.
Das Zugeständnis der Kulturautonomie, die neben der gewährten Souveränität im Sozial¬
politischen den Kern der künftigen saarländischen Selbstverwaltung bilden wird, durfte
sich freilich nur im Rahmen der von Frankreich gesetzten Bedingungen eines halbstaatli¬
chen Daseins erfüllen. Akzeptiert wurde also nur eine saarländische Kulturpolitik, die im
Einklang mit der erstrebten Wirtschafts- und Währungsunion und ihrer Stabilisierung
4<i Quellentexte aus Le Rhin, Paris, No 2, Februar 1945, S. 3 f. Zitiert nach J. Freymond,S.37 f.
46 Siehe oben, S. 62 und die dortige Anmerkung 8. Die Verdier-Kommission bereiste im Mai 1945
das Saarland und unterbreitete der französischen Regierung Vorschläge für eine Saarkonzeption
auf der Grundlage einer nicht näher definierten autonomen Selbstverwaltung im Rahmen einer
Wirtschafts- und Währungsunion.
47 Gekürzter Bericht der Verdier-Kommission in Le Monde vom 7. und 8. 5. 1945. Übersetzung zi¬
tiert nach J. Freymond, S. 41.
48 Vgl. hierzu vor allem die dokumentarisch begleitete Stellungnahme von W. Eckhard t aus dem
Jahre 1954 gegen das in der Bundesrepublik weitverbreitete Vorurteil, im Saarland würde mittels
eines zweisprachigen Schulunterrichts systematisch eine Entfremdung von deutschen Kulturtra¬
ditionen verfolgt. W. Eckhardt, S. 9 ff., insbesondere ab S. 11. Als Beispiele einer Agitations¬
arbeit im Sinne dieses Vorurteils seien genannt: Demokratische Partei Saar, Französische Kultur¬
politik an der Saar. LA Saarbrücken, Bestand Nachlaß H. Schneider, Nr. 31 und W. Holtz-
mann, Pseudonym für W. Hoitz, S. 11. Kritisch gegenüber dem separatistischen Anspruch
einer saarländischen Eigenkultur, aber die Problematik richtig erkennend, der Kommentar, den
die Wochenzeitung „Die Zeit“ anläßlich des Abschieds Grandvals in ihrer Ausgabe vom 7. 7.
1955 veröffentlichte. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen von A. Schmoll
gen. Eisen werth in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 6. 12. 1955.
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