3. Das französische Konzept für ein autonomes Saarland als Grundlage
für die besondere bildungspolitische Entwicklung im Saarland
Für das Saarland war die militärgouvernementale Kontrolle der öffentlichen Erziehung
von ebenso großer Bedeutung wie für die gesamte französische Besatzungszone auch42.
Gleichwohl ist sie hier anders wirksam geworden. Eine Rolle spielte dabei sicherlich die
kirchenfreundliche Grundeinstellung Babins in Bildungsfragen, so daß er, Katholik und
Mitglied des Mouvement Républicain Populaire (MRP), von vornherein in einem Span¬
nungsverhältnis zu den laizistisch durchdrungenen schulpolitischen Intentionen eines Ge¬
neral Schmittleins und ihren rationalen pädagogischen Begründungen stand. Zwar ak¬
zeptierte er vorbehaltlos die mit dem Ziel der Entnazifizierung, Entmilitarisierung und
Demokratisierung begründeten Bildungsreformen, wie sie in der französischen Interpre¬
tation von der Direction de l’Éducation Publique in Baden-Baden erstrebt wurden, er
wandte sich aber entschieden gegen Tendenzen, die die Stellung der Bildungsmacht Kirche
nachteilig berührten und gewachsene deutsche Bildungstraditionen in Frage stellten43.
Ausschlaggebend war diese Opposition Babins für die bildungspolitische Sonderentwick¬
lung des Saarlandes freilich nicht. Wesentlich zwingender waren vielmehr die besonderen
Absichten Frankreichs bezüglich der Saar. Im Spätsommer 1946 hatte sich Frankreich
endgültig auf sein Saarkonzept festgelegt. Entschieden hatte es sich für eine informelle
Herrschaft auf der Grundlage einer dann auch später verwirklichten Wirtschafts- und
Währungsunion. Paris hatte somit zugleich Abschied genommen von dem Weg einer
schleichenden Annexion, womit hier eine langfristig erstrebte Einverleibung im Sinne
einer allmählichen Assimilation und Naturalisation gemeint ist. Für eine solche Strategie
waren vor allem die schon zur Zeit des Völkerbundregimes existierende und im Jahre
1945 wiederbegründete Association française de la Sarre und das am 25. März 1945 ins
Leben gerufene Mouvement pour la Libération (bzw. le Rattachement) de la Sarre44 ein-
getreten.
Einer der fähigsten Köpfe in beiden Bewegungen war Edgar Hector, der in der Folge noch
eine gewichtige Rolle in den Nachkriegsregierungen des Saarlandes spielen sollte. Seine
Erwähnung interessiert an dieser Stelle weniger, weil er für die Programmatik und auch
für die Dynamik dieser auf Annexion drängenden Vereinigungen mitverantwortlich war,
sondern weil er in einer Rede auf einer Versammlung des Comité d’étude pour les fron¬
tières orientales de la France am 10. Februar 1945 in Paris, an der u. a. Maurice Schu¬
mann, der damalige Vorsitzende des MRP, Edmond Vermeil, und der bekannte französi-
42 Vgl. hierzu im einzelnen R, Winkeier, S. 6 ff.
43 Seine gegenüber Baden-Baden eigenständige Position in bildungspolitischen Grundsatzfragen
versicherte Babin dem Verfasser in seinem persönlichen Schreiben vom 6. 8.1977. Auch der wei¬
tere Lebenslauf Babins deutet auf eine solche Einstellung hin. Im Anschluß an seine Tätigkeit im
Saarland übernahm er ein Lehramt an der faculté des lettres der Universität Lille. Gleichzeitig ha-
bilierte er sich unter Obhut des namhaften französischen Sprachwissenschaftlers Charles Bru-
neau. Später war er Rektor an den Universitäten von Strasbourg und Bordeaux und zuletzt Dé¬
légué général pour les affaires universitaires internationales im französischen Unterrichtsministe¬
rium. Babin starb am 18. 12. 1978 in seinem Geburtsort Varennes-en-Argonne, ca. 50 km nord¬
westlich von Verdun entfernt gelegen. Vgl. hierzu den Nachruf in: Le Pays Lorrain, 1979, S. 107
44 Zur Geschichte, Programmatik und Mitgliederstruktur dieser Organisationen vgl. im einzelnen
J. Freymond, S. 37 ff. und R. H. Schmidt, Bd. 1, S. 149 ff. und S. 512 f.
72