Stellung zu den neuen Konstellationen fand, die durch den Zweiten Weltkrieg unab¬
weisbar geschaffen worden waren. Der Abschied von der ehrgeizigen und selbstbewußten
Konzeption de Gaulles wich einer realistischeren Position. Sie war notwendigerweise von
der Einsicht getragen, daß Frankreich nicht die Kraft hatte, einen Hegemonialanspruch
à la de Gaulle in Westeuropa durchzusetzen. Möglich schien nur eine bündnisorientierte
Politik in der nun einsetzenden Spannung zwischen Ost und West, die deutschlandpoliti¬
sche Komponente wurde nunmehr auf die bloße Forderung nach ausreichenden Sicher¬
heitsgarantien abgesenkt.
Welche Schlüsse können an dieser Stelle aus den Ausführungen und Erläuterungen Bi-
daults gegenüber Bevin und Byrnes in Bezug auf die Pariser Saarpolitik in der Vergangen¬
heit und in der Gegenwart des September 1946 gezogen werden. Die von Grandval aufge¬
stellte Behauptung, Frankreich habe nie die Absicht gehabt, die Saar politisch zu annek¬
tieren, ist durch eine klare Aussage des verantwortlichen Außenministers seines Fandes
aus der Zeit anstehender Entscheidungen eindeutig widerlegt. Nach Bidault war es vor
allem de Gaulle, der eine Einverleibung der Saar in den französischen Staatsverband er¬
strebt hat. Wenn Bidault darüber hinaus seine feste Opposition mit der Metapher eines
Rufers in der Wüste umschreibt, dann muß es innerhalb der französischen Regierung
sogar eine stärkere Mehrheit für ein solches Begehren gegeben haben. Wesentlich er¬
scheint auch der von Bidault angegebene Zeitraum von zwei Jahren. Danach muß der end¬
gültige Verzicht Frankreichs auf eine politische Annexion der Saar, den Bidault ausdrück¬
lich betonte, nahe vor dem Gesprächstermin des 24. September 1946 gelegen haben.24
Im Oktober 1946 machte Bidault dann Byrnes Mitteilung von der bevorstehenden Ver¬
wirklichung einer opération à laquelle les Gouvernements américain et britannique sont
favorables, dont vous avez vous-même déclaré publiquement, en un récent discours, que
vous approuviez le principe soit indéfiniment retarde. En Sarre, de nouveaux délais pro-
voquèraient sans doute une évolution des esprits de nature à faire obstacle à la réalisation
ultérieure d’un projet aujourd’hui communément accepté.2S Diese „Operation“ ist in der
Literatur detailliert abgehandelt worden, so daß sie hier nur in der Abgrenzung der ver¬
teilten Kompetenzen erwähnt zu werden braucht. Frankreich beanspruchte für sich kon¬
trollierenden Einfluß durch seine Hoheit im Wirtschafts-, Finanz- und Sicherheitsbereich
sowie im Außenpolitischen und gestand den Saarländern Eigenstaatlichkeit und Selbst¬
verwaltung im Sozial- und Kulturpolitischen zu.26 27 Aus der Sicht Frankreichs war diese Re¬
gelung von folgenden Überlegungen bestimmt:
d’une part la consolidation des positions françaises, d’autre part, le libre développement
de l’autonomie sarroise. Le maintien de l’équilibre entre ces deux tendances devra être la
préoccupation constante de notre représentation en Sarre, dans le triple domaine écono¬
mique, politique et culturel.17
24 Im Mai 1946, so läßt sich aus dem Brief Laffons vom 24. 5. ableiten, wareine Entscheidung noch
auf keinen Fall gefallen. Siehe oben S. 64, Anm. 13.
25 Text nach einem Aktenvermerk, datiert mit „octobre 1946“ und versehen mit dem Vermerk „Se¬
cret“. Ministère des Affaires Étrangères, Archives et Documentation, Bestand Z Europe 1944 -
1949 juin. Sous-Direction de la Sarre au Quai d’Orsay, Nr. 17.
26 Verwiesen sei an dieser Stelle nur auf die auf S. 61 in der Anm. 3 erwähnte Literatur.
27 Instruktionen des französischen Außenministeriums — Direction d’Europe — an das Hohe Kom¬
missariat vom 17. 1. 1948. Ministère des Affaires Étrangères, Archives et Documentation, Be¬
stand Z Europe 1944 — 1949 juin. Sous-Direction de la Sarre au Quai d’Orsay, Nr. 2.
68