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Zusammenfassung
Als sich Gilbert Grandval am 30. Juni 1955 nach fast zehnjähriger „Residenz“ an der Saar
verabschiedete, umschrieb er die Hauptaufgabe seiner Tätigkeit mit folgenden Worten:
En Sarre,..., j’ai d’abord défendu les intérêts français. Personne, je pense, ne me le repro¬
chera. Ce n’est pas moi, en tout cas, qui chercherai à le dissimuler^.
Nach den wenig guten Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Deutschland, sei es
seinem Land, so Grandval zur Begründung seiner Position, in erster Linie darum ge¬
gangen, die Bergwerke und Hütten an der Saar endgültig dem deutschen Militärpotential
zu entziehen. Frankreich strebte darum auch jetzt noch danach, die Saar wirtschaftlich
mit dem lothringischen Industriegebiet zu verbinden. Es gelte ein wirtschaftliches Gegen¬
gewicht zur enormen industriellen Konzentration an der Ruhr zu schaffen und dies sei am
ehesten möglich, wenn die naturgegebene Kombination von Kohle und Stahl des lothrin¬
gisch-saarländischen Raumes gesehen und im Sinne dieses Ziels genutzt würde. Aus¬
sichtsreiche Europapolitik sei nur auf der Grundlage eines solchen Ausgleichs möglich.
Für den Gaullisten Grandval war und blieb die Saar jenseits aller europäischen Integra¬
tionsbestrebungen auch im Jahre 1955 eine Angelegenheit, die zunächst vorrangig im Zei¬
chen nationaler Interessen Frankreichs zu regeln war. Sicherheit vor Deutschland durch
Verschiebung der Wirtschaftspotenzen, das war offensichtlich auch noch im Jahre 1955
das unverrückbare Ziel einer Politik, die strategisch im Gedankenkreis von Separation,
Protektorat, Autonomie, Wirtschafts- und Währungsunion ihren tragenden Rückhalt
fand. Im Raum stand damit eine Forderung, die, wie Freymond es formuliert hat, „die
Züge des ’grand commis’ Ludwig XIV.“1 2 trug, und die von Grandval ungeachtet sich
wandelnder Handlungsbedingungen durchgängig mit persönlichem Engagement und
sogar manchmal im Affronj: zu Paris unbeirrt vertreten worden ist.
Im Zeichen einer nach 1945 durchsetzbaren Außenpolitik suchte Frankreich, eine von
ihm kontrollierte saarländische Autonomie zu sichern, den Saarländern blieben Heimat,
Selbstverwaltung und ihre deutsche Kulturtradition. In diesem Rahmen durfte und
konnte sich die saarländische Bildungspolitik nach 1945 allmählich entfalten. Diese
Grundbedingungen galten auch für die bildungspolitischen Entscheidungen, die die Mili¬
tärregierung in Saarbrücken noch ohne größere Beteiligung einheimischer Politiker in der
Zeit bis zum Oktober 1946 traf. Sie lassen die Absicht der Militärregierung erkennen,
durch Rücksichtnahme auf den vermuteten bildungspolitischen Mehrheitswillen der
saarländischen Bevölkerung die Weichen für eine Zusammenarbeit zwischen dem Saar¬
land und Frankreich zu stellen. So restaurierte die Militärregierung das bekenntnisgebun¬
dene Volksschulwesen und die überlieferten Formen des deutschen Gymnasiums. Ihren
auf Zusammenarbeit angelegten Kurs in Bildungsfragen bahnte die Militärregierung be¬
reits im Jahre 1945 an, womit die Annahme, daß Frankreich eigentlich schon zu diesem
Zeitpunkt eine politische Annektion der Saar scheute, sicherlich gestützt wird. Der innere
Zusammenhang zwischen bildungspolitischer Einfühlung und erstrebter Saarautonomie
1 G. Grandval, Allocution, o. Seitenangabe.
2 J. Freymond, S. 298.
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