Full text: Bildungspolitik im Saarland

nenden Idee von (West-)Europa stehen sollte, war schon in der Hoffmannzeit an den Rea¬ 
litäten einer immer noch stark nationalstaatlich geprägten Gegenwart gescheitert, deren 
Charakteristikum immer noch das Credo von der Selbstverwirklichung der Völker in sou¬ 
veränen Eigenwelten war. Die Idee von einer Saaruniversität, die frei von nationalen 
Selbstsüchten in akademischer Freiheit, finanzieller Unabhängigkeit und international 
anerkannter Prüfungskompetenz hätte existieren können, war und blieb ein unerfüllbarer 
Traum, der für manchen zu bittersten Erfahrung saarländischer Bildungsgeschichte vor 
und nach 1955 geworden ist. 
Ein Beispiel für Wirklichkeitssinn zeigte dagegen Frankreich. Es hatte schon bei den Ver¬ 
handlungen in Paris am 28. 6. 1956 keinen Widerspruch gegen die beabsichtigte Um¬ 
wandlung der Saaruniversität in eine deutsche Landesuniversität erhoben. Die französi¬ 
schen Mitglieder im Verwaltungsrat, der bis zum Inkrafttreten des neuen Universitätsge¬ 
setzes am 26. März 1957 im Amt verblieb, bewiesen durch ihre konstruktive Mitarbeit 
den guten Willen ihres Landes, mitzuhelfen, die dauerhafte Existenz der durch Paris ins 
Leben gerufenen Institution zu sichern. Dies erkannte auch die saarländische Seite an, und 
die von Landtagsvizepräsident Wilhelm Kratz in seiner Eigenschaft als neuer Vorsit¬ 
zender des Verwaltungsrates auf der letzten Sitzung dieses Gremiums gegenüber den fran¬ 
zösischen Vertretern geäußerte Hochachtung, weil sie mit vorbildlicher Objektivität und 
Sachlichkeit mitgewirkt hätten80, die Saaruniversität zu erhalten, war mehr als eine bloße 
Höflichkeit. Die nunmehr endgültig auf Ausgleich angelegte Haltung Frankreichs hat er¬ 
heblich dazu beigetragen, daß entsprechend den in Paris getroffenen aber nicht ins Kultur¬ 
abkommen aufgenommenen Vereinbarungen ohne größere Reibung sieben Lehrstühle an 
französische Professoren vergeben werden konnten. Dabei fanden, wie in Paris abgespro¬ 
chen, die vergleichenden Fächer auf dem Gebiet des Rechts, der Literatur, der Geschichte 
und der Sprachwissenschaften besondere Berücksichtigung. Allerdings war das saarländi¬ 
sche Entgegenkommen nicht ganz so freiwillig, wie es der Vorsitzende Kratz in der letzten 
Verwaltungsratssitzung glaubhaft machen wollte81. Sein großzügiges Urteil war aber für 
die Tatsache, daß der Weg für die Umwandlung der Saaruniversität nun auch personalpo¬ 
litisch frei war, ohne Belang. Die Mitarbeit französischer Professoren, deren Anteil ange¬ 
sichts eines anwachsenden und vorzugsweise sich nur noch aus deutschsprachigen Ge¬ 
bieten rekrutierenden Lehrkörpers in den folgenden Jahren allerdings relativ zurückging, 
sicherte den Studenten der Saaruniversität Bildungsmöglichkeiten, wie sie an anderen 
deutschen Hochschulen nur selten zu finden waren. Auch das darf als ein positives Erbe 
der Jahre 1945 bis 1955 gewertet werden. Die Wende im Personalpolitischen hatte sich 
schon im Sommer 1956 angekündigt, als auf der Juli-Sitzung des Verwaltungsrates erst¬ 
mals ein Deutscher zum Rektor der Saaruniversität gewählt wurde. Es war Heinz Hübner, 
seit 1953 Lehrstuhlinhaber für römisches und bürgerliches Recht in Saarbrücken. Sein 
80 Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates vom 27. 3. 1957, S. 1. LA Saarbrücken, Bestand KM, 
Abt. Hochschulen, UIS — VR1956/57. Vgl. dort auch die Protokollaufzeichnungen der Sitzungen 
vom 31. 7. 1956 und 22. 1. 1957. 
81 Ebenda, S. 2. Die sieben Berufenen rekrutierten sich vorwiegend aus dem Stamm der französi¬ 
schen Professoren, die bereits vorher auf der Grundlage von befristeten Dienstverträgen in Saar¬ 
brücken waren. Es waren: Maurice Bemol (vergleichende Literaturwissenschaft), Laurent 
Champier (Kultur- und Wirtschaftsgeographie), Claude Digeon (französische Philologie), Jean 
Besson (anorganische Chemie), Jacques-Emile Dubois (physikalische Chemie) und A. M. Jung 
(Chirurgie). 
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