immer mehr von säkularen Erwartungen und Anforderungen einer modernen Leistungs¬
gesellschaft im Industriezeitalter verdrängt wurde, ein Prozeß, der im Zuge eines immer
spürbarer werdenden Wandels zwangsläufig erscheint. Gleichzeitig wurde eine Anpas¬
sung der schulischen Organisation immer dringender. Das Hamburger Abkommen zur
Vereinheitlichung auf dem Gebiet des Schulwesens vom 28. 10. 1964 leitete das Ende der
Volksschule ein; der Hauptgegenstand katholischer Schulpolitik im letzten Drittel des vo¬
rigen Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war damit praktisch auf¬
gelöst. Schon am 23. Februar 1965 erließ der saarländische Landtag ein verfassungsän¬
dernd wirksames Gesetz, demzufolge auch im Saarland in allen öffentlichen Bildungsbe¬
reichen christliche Gemeinschaftsschulen eingerichtet werden konnten62 63. Am 5. Mai
1969 besuchte der saarländische Kultusminister, Werner Scherer, den Apostolischen
Nuntius in Deutschland, Corrado Bafile, um das Einverständnis der Katholischen Kirche
für das bayerische Modell einzuholen. Gemeint war damit eine Schulreform nach bayeri¬
schem Vorbild, derzufolge es im allgemeinbildenden Schulwesen in der Regel nur noch
christliche Gemeinschaftsschulen geben sollte. Religion als ordentliches Lehrfach und die
Vollfinanzierung von Privatschulen sollten den Kirchen garantiert bleiben. Bafile hat
dieses Angebot, das im Jahre 1950 für die Katholische Kirche unannehmbar gewesen
wäre, offensichtlich ohne erkennbaren Widerstand akzeptiert. Er schrieb nämlich am 7.
Mai 1969 an den Trierer Bischof, Bernhard Stein, da mir bekannt war, daß die Lösung
von den Ordinariaten in Trier und Speyer nicht abgelehnt wird, und daß für eine bessere
Lösung kaum Aussicht besteht, übernahm ich den Auftrag, einen Entwurf für ein Ab¬
kommen vorzubereiten67,. Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, daß ausgerechnet
ein ehemaliger Nachwuchspolitiker der besonders kirchenfreundlichen CVP die weitge¬
hende Entkonfessionalisierung des Schulwesens im Saarland der Katholischen Kirche
mitzuteilen hatte, womit sehr wohl deutlich wird, daß der Prozeß der Verweltlichung im
öffentlichen Bildungswesen seine Eigendynamik hatte. Er wäre vermutlich auch durch
einen separaten Saarstaat ä la Hoffmann mit seinem dogmatischen Anspruch auf christ¬
lich-heimatliche Selbstverwirklichung nicht aufgehalten worden, zumal auch und gerade
ein eigenständiger saarländischer Staat verstärkten utilitaristischen Spekulationen um
Bildungseffizienz und Bildungsökonomie ausgesetzt gewesen wäre. Mit Beginn der sieb¬
ziger Jahre wurde auch an der Saar die religiöse Erziehungsaufgabe des öffentlichen Bil¬
dungswesens im Rahmen einer inzwischen überwiegend als wissenschaftlich charakteri¬
sierten schulischen Allgemeinbildung nur noch bedingt erfüllt. Unterrichtet wird hier ge¬
genwärtig im Primarbereich in der vierjährigen Grundschule, wo sich freilich noch ein be¬
achtliches Maß an kirchlich-konfessioneller Bindung erhalten konnte, und leistungsdiffe¬
renziert in Haupt-, Mittel- bzw. Realschulen und Gymnasien.
Das Saarland besitzt heute (1981) ein insgesamt sehr effizientes, breit und durchgängig
strukturiertes Bildungswesen, eine Feststellung, die sehr leicht durch statistische Zahlen
zu belegen wäre64. Der einstmals hier spürbare Zwiespalt zwischen hohem Industrialisie¬
rungsstand und nicht vorhandenen akademischen Bildungsstrukturen ist längst über¬
62 H.-W. Herrmann und G. W. Sante, Saarland, S. 57.
63 Darstellung und Zitate nach Schreiben Bafiles an Stein vom 7. Mai 1969. BA Trier, Generalvika¬
riat Trier, Registratur, Hauptabteilung 1.
64 Verwiesen sei in diesem Zusammenhang nur auf die vom Sekretariat der Ständigen Konferenz
der Kultusminister über die Kulturpolitik der Länder herausgegebenen Berichte, Bonn 1963 ff.
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