Diese Schwäche erspürte die saarländische Lehrerschaft natürlich sehr bald, zumal sie als
erklärter Anwalt des Deutschtums einen immer stärkeren Strang zum nationalen Ge¬
danken zog.
Außerdem versäumte es die saarländische Regierung, die Stellung ihrer Bildungspolitik
im Spannungsfeld von europäischer Verständigung und saarländischen Kulturinteressen
rechtzeitig zu definieren. Erst im Herbst des Jahres 1953 stellte sie im Zuge eines Nach¬
trags erstmals Mittel zur Durchführung des Europa-Unterrichts in allen saarländischen
Schulen sowie in der allgemeinen Volksbildung einschließlich Jugendpflege bereit. Ausge¬
worfen wurde ein Betrag von 10 Millionen ffrs (= 120 000 DM)68, der vornehmlich dazu
dienen sollte, in laufenden Lehrgängen nach und nach die Lehrer aller saarländischen
Schulen sowie die Jugendpfleger mit dem Gedankengut und der Methode eines wirk¬
samen Europa-Unterrichts vertraut zu machen mit dem Ziele, in allen Schulen und in der
Volksbildung die Europa-Idee und das europäische Bewußtsein in Bälde lebendig werden
zu lassen69. Hauptverantwortlicher Wegbereiter des europäischen Gedankens in den
saarländischen Bildungsanstalten sollte das Europäische Institut der Universität des Saar¬
landes werden, das dann in der Tat bis zum Jahre 1955 in Form von einwöchigen Lehr¬
gängen und Arbeitsgemeinschaften eine solche Aufgabe übernahm. Der Themenkatalog
solcher Veranstaltungen, an denen in der Regel jeweils vierzig Lehrer teilnahmen, war
recht vielfältig, wobei Europa als Erziehungs- und Unterrichtsprinzip unter den verschie¬
densten pädagogisch-psychologischen Aspekten abgehandelt wurde70. Eine nachhaltige
Bewußtseinswirkung zum Vorteil der europäischen Sache haben die Schulungen aber
ebenso wenig gehabt wie die Einführung einer Europa-Gedenkstunde in den Schulen am
5. Mai71 oder die Ankündigung eines europäischen Geschichtsbuches72. Wie gering das
Interesse der saarländischen Lehrerschaft an einer direkten Belebung der europäischen
Idee durch Schule oder durch persönliches Engagement war, das vermittelt eine Meldung
des Schulrats Diener (Ottweiler) an das Kultusministerium vom 18. 3. 1954, in der er die
Zusage von Lehrern zu Musterstunden für europäischen Unterricht mitzuteilen hatte.
Dort heißt es, daß sich keine Lehrkraft des Kreisschulamtes Ottweiler-St. Wendel II bereit
erklärt habe, Lektionen im Sinne eines europäischen Unterrichts zu halten73. Ein weiterer
Hinweis darauf, daß der nationalkulturelle Selbstbehauptungswille der saarländischen
Lehrerschaft als Deutsche stärker war als irgendeine verführerische Formel einer fragwür¬
digen Gesinnungserziehung im saarländisch-europäischen Geist, findet sich im Protokoll
der Schulrätekonferenz vom 3. Oktober 1953. Dort steht zu lesen, daß ein saarländischer
68 Errechnet nach dem gültigen Kurs für den Zeitraum 15. 1. 1952 bis 11. 8. 1957.
69 Schreiben des Kultusministers Singer zwecks Herbeiführung eines Umlaufbeschlusses an den Mi¬
nisterrat vom 17. März 1953. LA Saarbrücken, Bestand der Staatskanzlei, Akten des Direktors
der Präsidialkanzlei, (V) A 1.
70 Das Programm für die pädagogische Arbeitstagung vom 14. -17. September 1953 lautete z. B.:
1. Über die psychologische Ausbildung zum Europäer (Prof. Dr. Boesch), 2. Der Geschichtsun¬
terricht als Weg zur europäischen Gesinnung (Prof. Dr. Stadtmüller), 3. Die geistigen Kompo¬
nenten der abendländischen Kultur mit besonderer Berücksichtigung Deutschlands und Frank¬
reichs (Prof. Dr. von Rinteln, Mainz), 4. Die Sprache als Tor zum europäischen Verständnis
(Prof. Dr. Klumb, Mainz), 5. Die wirtschaftlichen Grundlagen Europas (Prof. Dr. Senf). LA Saar¬
brücken, Bestand Staatliches Mädchenrealgymnasium St. Wendel Nr. 14.
71 Rundschreiben des Kultusministeriums an die höheren Schulen des Saarlandes vom 30.4.1954.
LA Saarbrücken, Bestand Staatliches Mädchenrealgymnasium St. Wendel Nr. 15.
72 Vgl. dazu den Bericht der Saarbrücker Zeitung vom 11. 7. 1955.
73 Diener an Kultusministerium. LA Saarbrücken, Bestand Kreisschulamt Ottweiler Nr. 14.
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