das wenig mit dem z. T. euphorischen Engagement einer zugewanderten Künstlergilde
und ihrem Streben nach internationaler Reputation anzufangen wußte. In diesem Span¬
nungsverhältnis zwischen weltoffener Kunstverwirklichung und provinzieller Gewerbe¬
mentalität spiegelt sich einmal mehr die widerspruchsvolle, zwischen Tradition und Ste¬
tigkeit einerseits und fortschrittlichem Anspruch und Geltung andererseits schwankende
bildungspolitische Wirklichkeit der saarländischen Geschichte nach 1945 wider, die ihre
tiefere Ursache in der bewegten Vergangenheit zweier rivalisierender Nationalstaaten im
Industriezeitalter hatte und insbesondere in der „Ära Straus“ spürbar wurde.
Auf der einen Seite stand nämlich ein stets ungeduldiger Kultusminister, der, unterstützt
von Frankreich und erpicht auf eine dauernde Existenz der Saar als autonomer Staat, die
bis dahin mangelhaft durchstrukturierte und darum weniger anspruchsvolle saarländi¬
sche Bildungswelt auf einen möglichst hohen Standard heben wollte, die dem kleinen
Land nicht nur Renommée verschaffen sollte, sondern auch weitestgehend bildungsöko¬
nomische Autarkie. Auf der anderen Seite stand eine saarländische Öffentlichkeit, die
einer soliden und zuverlässigen Schulung gewiß sein wollte und jede hektische Betrieb¬
samkeit an der Bildungsfront scheute, zumal sie nicht sicher war, ob diese Regsamkeit
nicht doch mehr den Interessen einer fremden Macht als den eigenen dienlich sein könnte.
Von einem Für und Wider um eine schulische Reform ging diese Konfrontation eigentlich
nicht aus. Dies beweist schon ein flüchtiger Blick auf die saarländische Schulstatistik, die
in den Jahren von 1945 bis 1955 ihr überliefertes Strukturbild nicht veränderte. Dennoch
macht sie die bildungspolitischen Anstrengungen deutlich, die im Saarland nach 1945 ge¬
macht worden sind. Im Jahre 1951, als Straus demissionieren mußte, hatte das öffentlich
organisierte Bildungssystem an der Saar 573 Volksschulen, sechs Hilfsschulen, zwei Mit¬
telschulen, 23 Höhere Schulen, 25 zentralörtliche Berufsschulen, 60 Bergschulen253, vier
Eisenbahnfachschulen, drei Wirtschaftsfachschulen, eine Ingenieurschule (Höhere Tech¬
nische Lehranstalt), ein Konservatorium, eine Werkkunstschule (Schule für Kunst und
Handwerk), ein der Universität angeschlossenes Berufspädagogisches Institut für die Aus¬
bildung der Berufsschullehrer, drei Seminare für die Ausbildung der Volksschullehrer und
eine Universität mit vier Fakultäten. Damit erreichte das Saarland aus der Sicht institutio¬
neller Bildungseinrichtungen einen Standard im Bildungssektor wie zu keiner Zeit vorher.
Selbst wenn man für diese Entwicklung den allgemeinen Fortschritt hinreichend mitver¬
antwortlich macht, so wird man nicht umhin können, die bildungspolitischen Leistungen
des Wiederaufbaus und insbesondere des Ausbaus bis hin zur universitären Bildung zu
würdigen. Dies gilt auch dann noch, wenn man die französische Protektion und die Ver¬
nachlässigung des heil- und sozialpädagogischen Bildungsbereichs sowie der Mittelschule
erwägt.
5. Zur Person des ersten saarländischen Kultusministers
Nach dieser bildungspolitischen Bilanz drängt sich die Frage auf, warum Straus als ver¬
antwortlicher Minister im April 1951 eigentlich aus seinem Amt entlassen wurde, noch
253 Diese Zahl erwähnt Straus in einem Beitrag in der französischen Zeitschrift „L’Enfant et Nous“
(Im Literaturverzeichnis E. Straus, situation, 1. Seite). Sie erscheint ziemlich hoch gegriffen.
Wahrscheinlich hat Straus auch die Kleinkinderschulen und Handarbeitsschulen für Frauen und
Töchter von Saarbergleuten mitgezählt, ln den amtlichen Statistiken sind die Bergschulen nicht
berücksichtigt.
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