Wenn sich auch die Situation der saarländischen Sonderschule bis zum Jahre 1955 leicht
verbesserte, weil zu den 6 Sonderschulen noch 12 hinzukamen, so blieb das Resultat für
die Lernbehinderten dennoch völlig unbefriedigend. Von den insgesamt 18 Sonder¬
schulen war nur eine, nämlich die Taubstummen- und Blindenschule in Lebach215, für
körperbehinderte Kinder einsatzbereit. Alle anderen blieben Einrichtungen für geistig be¬
hinderte bzw. schwach begabte Kinder. Insgesamt unterrichteten diese Anstalten im Jahre
1955 661 Schüler216 217. Allgemeiner Erfahrungswert für die Zahl heilpädagogischer Be¬
treuung bedürftiger Kinder ist ein Prozentsatz von 3,5 bis 4 v. H. der Gesamtzahl der
schulpflichtigen Kinder. Im Saarland wären demnach rund 4000 Schüler auf den Besuch
einer Sonderschule angewiesen gewesen. In Wirklichkeit konnte aber nur ungefähr jedes
sechste lernbehinderte Kind eine ihm gemäße Spezialbildung erfahren. Die Folge war, daß
im Saarland, wie es in einer Stellungnahme des Evangelischen Kirchenkreises Saar¬
brücken aus dem Jahre 1955 hieß, etwa 80—90 % der hilfsschulbedürftigen Kinder in der
Volksschule blieben und dort in den 4. und 5. Klassen einen störenden Bodensatz bil¬
deten. Unterrichtlich können sie nicht mehr gefördert werden. Erziehlich werden sie in die
Schwererziehbarkeit abgedrängt117.
Eine recht günstige Entwicklung nahm das berufsbildende Schulwesen an der Saar.
Brengel, der im Rahmen einer im Jahre 1961 vorgelegten Dissertation das saarländische
Berufsschulwesen detailliert untersucht hat, resümiert, daß die saarländische Berufs¬
schule nach dem Kriege bald „nicht nur ihren früheren Stand ... behaupten“, sondern ihr
höheres Anspruchsniveau gegenüber den berufsbildenden Schulen im Bundesgebiet bei¬
behalten konnte. Brengel führt dies auf die fortgesetzte Förderung des Berufsschulwesens
seit den Tagen des Völkerbundregimes einerseits und auf „das Bemühen der Regierung
des Saarlandes um den weiteren Ausbau des beruflichen Bildungswesens und dessen neu¬
zeitliche Gestaltung nach 1945“ andererseits zurück218. Tatsächlich ist an der Saar die
gute Tradition, den berufsbildenden Bereich in Korrelation zu den stetig steigenden An¬
forderungen einer immer mobiler werdenden Berufswelt auszubauen und qualitativ zu
verbessern, auch in den Jahren bis 1955 fortgesetzt worden. Seine positive Entwicklung
verdankt dieser Bildungssektor dabei günstigen Umständen, Da wäre sicherlich an erster
Stelle die wohlwollende bildungspolitische Unterstützung zugunsten der Berufsschule zu
erwähnen, die die Regierung durch die Kammern und Verbände der Wirtschaft sowie
durch die Gewerkschaften erfuhr. Vorteilhaft war auch der Konsens von CVP und SPS im
Zeichen einer gezielten Förderung des Berufsschulsektors und die grundsätzlich positive
Haltung Richard Kirns in dieser Frage. Er unterstützte im Kabinett jede Initiative zugun¬
sten dieses Bildungsbereichs219. Einer der besonderen Erfolge dieser bildungspolitischen
215 Die Anstalt wurde im Oktober 1949 eröffnet. Die Federführung für diese Einrichtung lag be¬
zeichnenderweise nicht beim Kultusministerium, sondern beim Ministerium für Arbeit und
Wohlfahrt, das damals von dem Vorsitzenden der SPS, Richard Kirn, geleitet wurde. Bezüglich
der Eröffnungszeremonie vgl. Bericht der Saarländischen Volkszeitung vom 29. 10. 1949. Da¬
nach begann die Schule mit 110 taubstummen und 40 blinden schulpflichtigen Kindern, die bis
dahin in Anstalten in Trier, Euskirchen, Neuwied, Frankenthal und Düren untergebracht waren.
216 Statistisches Handbuch (Saarland 1958), S. 50.
217 Der Durchschlag der maschinengeschriebenen Stellungnahme ist ohne Datierung. Sie wurde
wahrscheinlich im Sommer 1955 dem saarländischen Kultusministerium übermittelt. Archiv des
Kirchenkreises Saarbrücken, Bestand Nachlaß Wehr 1945 — 1958, Aktengruppe 3.
218 A. Brengel, Wirklichkeit, S. 647 ff.
219 Interview E. Straus vom 25. 11. 1976
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