Full text: Bildungspolitik im Saarland (14)

der Entwicklung des saarländischen Mittelschulwesens von 1945 bis 1955 vertraut, 
spricht sogar von einer gewollten regierungsamtlichen Diffamierung dieser in der Tradi¬ 
tion der preußischen Mittelschule stehenden Einrichtungen209. Er begründet seinen 
Standpunkt mit der bewußten Unterdrückung einer qualifizierten Mittelschullehreraus¬ 
bildung210, den hartnäckigen Versuchen, den Bildungsauftrag dieser Schulgattung im 
Sinne einer vorbereitenden Spezialausbildung für Wirtschaft und Verwaltung umzufunk¬ 
tionieren211, und schließlich mit der Zeugnisfrage, derzufolge die Saarbrücker Mittel¬ 
schulen nur ein Abschlußzeugnis und nicht das überlieferte Berechtigungszeugnis der 
Mittleren Reife erteilten durften212. 
Ein ebenso tristes Dasein wie die Mittelschulen mußten die Sonderschulen im Saarland fri¬ 
sten, allerdings ohne dabei im Vergleich zum Bild in der Bundesrepublik negativ aufzu¬ 
fallen. Vor allem in den Jahren der kulturpolitischen Verantwortung von Straus blieben 
Impulse, die zu einer durchgreifenden Verbesserung der Lage der Hilfsschulen, wie man 
damals die Sonderschulen nannte, hätten führen können, aus. Wenn auch die Zahl solcher 
Bildungseinrichtungen von 1946 bis zum Jahre 1951 von 2 auf 6 anstieg, so bedeutete dies 
allenfalls eine Linderung der heilpädagogischen Notsituation. Das lag zum einen daran, 
daß die damalige Bildungspolitik an der Saar noch stärker als in der Bundesrepublik in der 
Behindertenschulung zu sehr auf das Problem lernschwacher Kinder fixiert blieb, zum an¬ 
deren daran, weil in jenen Jahren der Wiederaufbau des Volks- und Oberschulwesens ein¬ 
deutig Priorität besaß. Ein Spiegelbild der desolaten Lage der saarländischen Sonder¬ 
schule213 war sowohl die unzureichende Ausbildung und Qualifikation der Sonderschul¬ 
lehrer, die sich meist aus der Volksschullehrerschaft rekrutierten214, als auch die Undefi¬ 
nierte schulrechtliche und -gesetzliche Auftragsbestimmung für diesen Bildungssektor. 
209 Bestätigt wird das harte Urteil Wagners durch einen Bericht des Neunkirchener Bürgermeisters 
Brokmeier über eine Besprechung im Kultusministerium, die die Neugründung einer Mittel¬ 
schule in Neunkirchen zum Inhalt hatte. Danach standen die Vertreter des Kultusministeriums 
diesem Projekt sehr reserviert gegenüber, da es nach ihrer Ansicht ein besonderes Erziehungsziel, 
das zu speziellen Berufen berechtigte, (für) die Mittelschule nicht gebe. An anderer Stelle heißt 
es: Nach den jetzigen Erfahrungen würden die beiden Mittelschulen in Saarbrücken zur Haupt¬ 
sache von Schülern besucht, die von der höheren Schule kommen unter der Annahme, daß sie die 
gesteckten Ziele nicht erreichen würden. Bericht des Neunkirchener Bürgermeisters Brokmeier 
über eine Besprechung im Kultusministerium vom 20.11.1954. LA Saarbrücken, Bestand Kreis¬ 
schulamt Ottweiler Nr. 2. Wiedergegeben im Quellenanhang (Anlage 19). Neben Neunkirchen 
beantragten auch der Kreis Wadern und die Städte Blieskastel und St. Ingbert vergeblich die 
Gründung einer Mittelschule. 
210 Vom Jahre 1952 an gab es zwei Möglichkeiten, sich als Mittelschullehrer zu qualifizieren: Volks¬ 
schullehrer, die die 2. Staatsprüfung bestanden hatten, konnten sich in Vorbereitungskursen auf 
die Mittelschullehrerprüfung vorbereiten, Abiturienten mußten ein dreijähriges Universitätsstu¬ 
dium in zwei Fächern und in Pädagogik nachweisen, wenn sie zur Mittelschullehrerprüfung zu¬ 
gelassen werden wollten. 
211 Der von Wagner im Interview vom 5. 3. 1976 erwähnte Versuch einer Umformung der Saar¬ 
brücker Mittelschulen in Einrichtungen nach dem Vorbild des „Lycée moderne“, einer in Frank¬ 
reich neu eingeführten höheren Schule mit modernen Fremdsprachen, die dort die École primaire 
supérieure ablöste, kann aus den Quellen nicht als ernsthaft nachgewiesen werden. 
212 Interview E. Wagner vom 5. 3. 1976. Vgl. auch E. Wagner, S. 275 ff. 
213 Vgl. hierzu im einzelnen A. Sander, S. 126 ff. 
214 Im Saarland gab es, im Gegensatz zu den meisten Ländern in der Bundesrepublik, keine beson¬ 
deren Institute für Heilpädagogik, die in zwei- bis viersemestrigen Kursen Sonderschullehrer 
hätten ausbilden können. Statt dessen begnügte man sich bis zum Jahre 1955 mit Kurzkursen, 
die etwa 1 lA Jahr dauerten und in denen die Kandidaten, die sich fast alle aus der Volksschulleh¬ 
rerschaft rekrutierten, lediglich einmal wöchentlich im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften zu¬ 
sammenkamen. 
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