gerechtigkeit zu, wobei sich beide an die bildungspolitischen Wertvorstellungen des so¬
zialen Katholizismus anlehnten51.
Was Wohieb erspart blieb, war die Rücksichtnahme auf eine présence française à la Sarre,
und es wäre wissenschaftlich müßig, hypothetische Spekulationen darüber anzustellen,
wie sich der Südbadenser Wohieb in einer vergleichbaren Situation wie an der Saar verhalten
hätte. Im Saarland war dieser Anspruch konkret, seine uneingeschränkte Respektierung
bedingte überhaupt das Recht der Parteien zum politischen Handeln. Dies zwang sie zu
Kompromissen und zu einer Anpassung, die oft die eigene politische Identität und Inte¬
grität berührten und sicherlich auch das beanspruchte Recht auf Selbstverwirklichung
fraglich erscheinen ließ52. Ein Spiegelbild dieses Dilemmas ist die am 17. Dezember 1947
in Kraft gesetzte saarländische Verfassung. Ihr wurde eine feierliche Erklärung vorge¬
stellt, die die politische Entscheidung der Trennung von Deutschland und den Wirt¬
schaftsanschluß an Frankreich als endgültige Regelung ebenso festschrieb wie die Bürger¬
und Freiheitsrechte als Ausdruck einer politisch wirksam gebliebenen rechtsstaatlichen
Idee an der Saar. Mit dieser Verfassungspräambel und den saarländisch-französischen
Haushalts- und justizkonventionen, deren verfassungsrechtliches Inkrafttreten Frank¬
reich zur Vorbedingung seiner Zustimmung zur Verfassung machte, wurde das von außen
aufgezwungene Statut zur eigentlichen Verfassungsgrundlage gemacht53, die jede Einzel¬
entscheidung, und mochte sie auch ganz vom Willen zum liberal-demokratischen und
rechtsstaatlichen Prinzip getragen sein, angreifbar machte, wenn sie sich gegen die saar-
ländisch-französische Interessenallianz wandte54. Die sehr fragwürdige Methode der
Kopplung von an sich unvereinbaren Positionen ist zugleich der eigentliche Grund für die
umstrittene Legitimation der saarländischen Verfassung vom 17. Dezember 1947 und
weniger die oft kritisierten Begleitumstände wie der Ausschluß von 35 000 wahlberech¬
tigten Saarländern oder die angebliche Verschleierung des Wahlziels vom 5. Oktober
1947, als in einem Wahlgang und mit einer Stimme der Landtag gewählt und über die Ver¬
fassung abgestimmt wurde. Die saarländische Politik hat bis in die Tage des Abstim¬
mungskampfes im Jahre 1955 den hier schon spürbar werdenden Widerspruch zwischen
51 Vgl. dazu Wohiebs Denkschrift „Die soziale Gestaltung der Schule“, in der er den Weg zu gerech¬
teren Bildungschancen vor allem in einem anzugleichenden Wertverhältnis von beruflicher und
allgemeiner Bildung propagierte, in der Gegenüberstellung zum Programm der CVP, das im Ab¬
schnitt III unter Punkt 5 die Förderung aller Begabten ohne Rücksicht auf ihre soziale Herkunft
verlangte. Dies war eine stete Forderung des Zentrums gewesen, die in ihrem Ursprung auf den
„linken“ Flügel dieser Partei zurückging. Die Denkschrift Wohiebs ist auszugsweise abgedruckt
bei J. Hohlfeld, Bd. VI (Dok. 32 b), die schulprogrammatische Aussage der CVP bei R. H.
Schmidt, Bd. 1, S. 575 (Anhang: CVP des Saarlandes — Programm).
52 Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die Krise, von der die CVP um die Jahreswende
1946/47 erfaßt wurde und die nur dadurch überwunden werden konnte, daß man sich program¬
matisch auf eine ausdrückliche Absage an jede Form eines politischen Anschlusses einigte. Kon¬
trahenten in diesem heftigen Streit waren vor allem Hoffmann und Koßmann. Nach Bericht der
Sûreté innerhalb der Saarbrücker Militärregierung für den Monat Februar 1947. LA Saar¬
brücken, Bestand Handeisamt Saar Nr. 5.
53 Zur Entstehungsgeschichte der saarländischen Verfassung vgl. im einzelnen H. Schneider, S.
88 ff.
54 Selbst Hoffmann räumt ein, daß „die im Wortlaut negativ ausgedrückte Herauslösung aus dem
deutschen Staatsverband eine besondere Schwierigkeit“ war. Wenig spater spricht er von einem
notwendigen positiven Bekenntnis zur Wirtschaftsunion, um die „zu Tage tretenden Friktionen“
gegen sie zu eliminieren. J. Hoffmann, Ziel, S. 94. Angemerkt seien an dieser Stelle zudem noch
die weitgehenden Überwachungs-, Genehmigungs- und Rechtskompetenzen, die nach Inkraft¬
treten der Verfassung dem Hohen Kommissar verblieben. Sie sicherten ihm bis zum Abschluß der
Konventionen im Jahre 1950 sozusagen die Stelle eines Statthalters zu.
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