die sich vom Jahre 1950 an zu regen begann, war der Weg der Autonomie nichts anderes
als der erneute Versuch Frankreichs, sich eines wichtigen deutschen Industriegebietes zu
bemächtigen. Aber war das, was sich im Saarland von 1945 bis 1955 getan hat, tatsäch¬
lich nur eine Wiederholung der Geschehnisse nach dem Ersten Weltkrieg?
Gewiß, Heinrich Schneider, einer der regsamsten und konsequentesten Wortführer der
Oppositionellen, leugnet Unterschiede zwischen 1918 und 1945 nicht, indem er die zeit¬
liche Begrenzung der Versailler Regelung, die Treuhandschaft des Völkerbundes und die
unangetastete Zugehörigkeit der Saar zum Deutschen Reich für die Zeit nach dem Ersten
Weltkrieg herausstellt. Gleichwohl interpretiert er die Geschichte des Saarlandes nach
1945 apodiktisch als Renaissance der französischen Machtpolitik nach dem Ersten Welt¬
krieg, deren Ursache er aber nicht nur in der Rivalität zweier europäischer Industrie¬
staaten sieht, sondern auch in dem vermeintlichen jahrhundertlangen Wetteifer beider
Völker um die Gebiete zwischen Rhein und Mosel5. Bei einem solchen Interpretationsan¬
satz kann es nicht verwundern, daß Schneider die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ganz
im Zeichen einer noch entschlosseneren und zielstrebigeren „Saareroberung“ durch
Frankreich sieht, wobei er die totale politische und verwaltungsmäßige Lostrennung
sowie die Überführung des gesamten saarländischen Wirtschaftspotentials und aller ma߬
geblichen Kommunikationsmittel in französische Hände als Belege anführt6. Einen ei¬
genen Gestaltungswillen der saarländischen Politik, wie ihn Hoffmann für sich reklamiert
hat, läßt Schneider bei seinem ausschließlichen Fingerzeig auf französische Machtinter¬
essen nicht gelten. Für ihn und seine politischen Freunde waren die damals Verantwortli¬
chen nichts anderes als Marionetten einer auswärtigen Macht, die aus eigensüchtigen Mo¬
tiven aus dem deutschen Schicksal aussteigen wollten.
Die eigentliche Ursache für die unüberbrückbar scheinenden Standorte geht in ihrem Kern
auf gänzlich unterschiedliche Auffassungen in der Frage der nationalstaatlichen Legitima¬
tion zurück. Für die Hoffmannopposition im Saarland und in Deutschland stand fest, so¬
lange die Bevölkerung an der Saar nicht wirklich frei, also auch gegen die enge saarlän¬
disch-französische Zusammenarbeit entscheiden konnte, war jedes Plebiszit über eine
von Deutschland losgelöste Existenz und jede Wahl einer saarländischen Regierung
rechtswidrig. Das nationale Lebensrecht der Saarländer als Deutsche erschien einigen
sogar als ein absolutes, das selbst durch einen Mehrheitswillen der saarländischen Bevöl¬
kerung nicht aufgehoben werden durfte. Im Sinne der nationalen Verantwortung für alle
Deutsche haben bundesrepublikanische Politiker aus allen Parteien das sogenannte Hoff-
mann-Regime immer wieder für illegal erklärt. Aus der Fülle solcher Äußerungen seien
einige Beispiele ausgewählt. So gab es für Erich Ollenhauer (SPD) keinen prinzipiellen Un¬
terschied zwischen dem Wahlsystem, das die separatistische Regierung Hoffmann und
ihre Mehrheit im Landtag geschaffen haben, und den kommunistischen Wahlkomödien
in den Ländern der Volksdemokratien und in der Sowjetzone Deutschlands... Herr Hoff¬
mann ist nur der Grotewohl des Saargebiets. Der Vertragspartner der deutschen Regie¬
5 Vgl. dazu im einzelnen seine Ausführungen über die Geschichte des Saarlandes vor dem Hinter¬
grund deutsch-französischer Beziehungen seit dem 16. Jahrhundert, die er ohne besondere Rück¬
sichtnahme auf den Wandel politischer Bewußtseinslagen vomimmt. H. Schneider, S. 15 ff.
6 H. Schneider, S. 30.
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