Full text: Bildungspolitik im Saarland

Saarbrücken mußte er zwar aufgrund ihrer überlieferten Existenz264 265 dulden, ihr schuli¬ 
sches Ziel betrachtete er aber nur als eine Art Halbbildung165. Diese Position bedarf der 
näheren-Erläuterung, da sie auf einen ideologischen Kernpunkt seines Bildungsdenkens 
aufmerksam macht. Sie ging von einer gezielten Sicherung des humanistischen Erbes im 
höheren Schulwesen einerseits und einer entschiedenen Vertretung des konfessionellen 
Prinzips auf der Grundlage katholischer Bildungslehren und -ideale für den Volksschulbe¬ 
reich andererseits aus und schlug sich später in einem christlich-naturrechtlichen Verfas¬ 
sungsansatz nieder, wie er zum Beispiel auch in Rheinland-Pfalz in der Konzeption des dor¬ 
tigen ersten Kultusministers Adolf Süsterhenn zu finden ist. Rückhalt fand dieses bildungs- 
und schul rechtliche Denken in „ständischen“ und „organischen“ Gesellschaftsvorstel- 
lungen, die, wie erinnerlich, auch an der Saar damals noch stark verbreitet waren und im 
schulischen Bereich in der populären Idee von der volkstümlichen Bildung zum Tragen 
kam266. Für Straus, den Anhänger dieser pädagogischen Theorie und ihrer Fiktion von der 
vertikalen Schichtung der Gesellschaft, war die Mittelschule lediglich eine Anstalt mit einem 
„Zwischenbildungsziel“, für das es an der Saar keinen Platz geben konnte267. Mehr Auf¬ 
merksamkeit schenkte er da schon den Berufsschulen, deren fortschreitende Differenzie¬ 
rung in den kaufmännischen, gewerblichen und hauswirtschaftlichen Zweigen sich frei¬ 
lich wenig von der Entwicklung in den Westzonen Deutschlands bis 1949 unterschied. 
Da Grandval dem Ansinnen der unter französischer Kuratel stehenden Grubenverwal¬ 
tung nicht nachkam, die ehemaligen Grubenschulen zu reaktivieren268, mußten im Saar¬ 
land angesichts der Gegenwart französischer Bediensteter in Verwaltung, Wirtschaft, 
Zoll und Militär zwangsläufig besondere französische Schulen eingerichtet werden. 
Neben einer Reihe von ein- bis fünfklassigen Bildungseinrichtungen dieser Art in saarlän¬ 
dischen Mittelstädten und Grenzorten war von ihnen die im Jahre 1946269 gegründete 
Marechal-Ney-Schule270 in Saarbrücken die bekannteste271. Sie war, wenn an ihr auch 
Religion als ordentliches Lehrfach gelehrt wurde, eine typisch französische Anstalt laizi¬ 
stischen Charakters mit umfassenden durchlässigen Bildungsstrukturen (Kindergarten, 
Volksschule und Gymnasium) und allen Einrichtungen für einen ganztägigen Unterrichts¬ 
betrieb. Obgleich Straus inquisitorisch allen Säkularisierungstendenzen im staatlichen 
Bildungswesen entgegentrat, so hat er es dennoch zulassen müssen, daß vom Zeitpunkt 
der Eröffnung der Marechal-Ney-Schule an saarländische Kinder in den religionsneu¬ 
264 Siehe oben, S. 39 f. 
265 Interview E. Straus vom 23. 10. 1975. 
266 Siehe oben, S. 42. 
267 Interview E. Straus vom 23. 10. 1975. 
268 Interview P. Woelfflin vom 27. 11. 1976. Siehe auch oben, S. 105. 
269 Vgl. dazu den Rapport mensuel Mars — Avril 1946 der Éducation Publique innerhalb der Saar¬ 
brücker Militärregierung. LA Saarbrücken, Bestand Handelsamt Nr. 8 und Anm. 163 auf S. 166. 
270 Benannt nach dem bekannten Heerführer Napoleons I., der 1769 in Saarlouis als Sohn eines Bött¬ 
chers geboren wurde und 1815 nach der Schlacht bei Belle-Alliance als Hochverräter verurteilt 
und hingerichtet wurde. 
21 Im Dezember 1946 gab es insgesamt 14 französische Schulen. Davon waren 13 sogenannte écoles 
primaires. Sie waren 2 — 5klassig und hatten insgesamt 652 Schüler. Die Maréchal-Ney-Schule 
hatte damals 413 Schüler. Der Anteil saarländischer Kinder an diesen Schulen ist für diesen Zeit¬ 
punkt nicht bekannt. Siehe aber unten, S. 166 und die dortige Anm. 163. Angaben über die fran¬ 
zösischen Schulen im Jahre 1946 nach Bericht der Éducation Publique für den Monat Dezember 
1946. LA Saarbrücken, Bestand Handelsamt Saar Nr. 4. 
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