unterricht, zentral strukturierte Schulaufsicht usw. gesehen werden, als vielmehr in
seinem merkwürdigen und nicht von Widersprüchen freien Versuch, deutsche und fran¬
zösische Bildungserfahrungen nach eigenem Gutdünken für die saarländische Bildungs¬
welt fruchtbar machen zu wollen. Seine Verwirklichung verdankte dieses in mancherlei
Hinsicht eigenwillige Bildungsprogramm nicht einem demokratisch legitimierten Auf¬
trag, sondern allein einer durch Diktatur und Krieg herbeigeführten Ausnahmesituation
im Rahmen einer militäradministrativ ausgeübten Fremdherrschaft und ihren separatisti¬
schen Zielen. Die so durch Zeitumstände bewirkte Eigenständigkeit und Handlungsfrei¬
heit von Straus, die in den Jahren von 1947 bis 1949 ihren Höhepunkt erreichen sollte,
bestätigt auch der ehemalige Kulturattache in Saarbrücken, Pierre Woelfflin: Vieles, was
Herr Straus tat, kam nicht von uns. Das Fatale war nur, daß die Bevölkerung glaubte,
Herr Straus handele im französischen Auftrag25*. Das mußte sie auch im Falle des Herbst¬
termins annehmen, der als jeweiliger Schuljahresbeginn bestimmt wurde. Ähnliches galt
für die Übernahme des französischen 20-Punkte-Schulnotensystems, das im Schuljahr
1947/48 für das Saarland übernommen wurde258 259, und für die vom gleichen Zeitpunkt an
einsetzenden Schülerwettbewerbe im Bereich der höheren Schulen, die ganz im Zeichen
französischer Gewohnheiten organisiert und durchgeführt wurden260. Obgleich alle diese
Maßnahmen eher formaler Natur waren und auch im Bereich der französischen Besat¬
zungszone eingeführt wurden, empfand man sie an der Saar dennoch als Versuch einer
Französierung des einheimischen Schulwesens. Daß dieses Gefühl der Überfremdung
Ende der vierziger Jahre öffentlich noch nicht zum Ausdruck gelangte, lag vor allem an
der damals noch unerschütterten Machtposition Frankreichs und an der von ihr getra¬
genen starken Stellung von Straus als verantwortlicher Leiter der Kultusabteilung. So
konnte Straus auch andere Angelegenheiten ungestört machtbürokratisch regeln. Die im
Saarland traditionelle Förderung begabter Kinder aus sozial schwachen Familien durch
Schuldgeldfreiheit beim Besuch der damals noch schulgeldpflichtigen höheren Schulen
handhabte er bis 1947 restriktiv261. Für die Begabtenauslese ordnete er darüber hinaus
sehr strenge Maßstäbe an, um ungeeignete Elemente auszuscheiden262. Rigide und klein¬
lich zeigte er sich schließlich in Detailfragen des schulischen Alltags wie zum Beispiel der
Residenzpflicht der Volksschullehrer, den Mindestzahlen für Klassenarbeiten und der un¬
angemeldeten Kontrolle des Unterrichts durch die Schulaufsichtsbeamten. Mit großem
Argwohn beobachtete er die Beschäftigung von verheirateten Lehrerinnen, eine für ihn
provozierende Angelegenheit, die er angesichts des akuten Lehrermangels bis zum Jahre
1950 jedoch dilatorisch behandeln mußte263.
Im Bereich der schulischen Allgemeinbildung existierten für Straus eigentlich nur zwei Be¬
reiche: die Volksschule und das Gymnasium. Die beiden städtischen Mittelschulen in
258 Interview P. Woelfflin vom 27. 11. 1976.
259 Vgl. Schreiben der Verwaltungskommission (Schulabteilung) an die Technische Hochschule
Darmstadt vom 11.9.1947. LA Saarbrücken, Bestand KM, Abt. Hochschulen, UIS - T und UT
-T.
260 Vgl. Schreiben von Straus an die Lehrer der höheren Schulen vom 9. 1. 1947. LA Saarbrücken,
Bestand KM, Abt. Allgemeine Verwaltung, Z II — A 2 b 1945 — 1952.
261 Vgl. Rundschreiben an die Schulleiter der höheren Schulen - E III Tgb. Nr. 2207/46 - vom 22.
7. 1946. LA Saarbrücken, Bestand Staatliches Aufbaugymnasium Ottweiler Nr. 3.
262 Ebenda.
263 Interview E. Straus vom 23. 10. 1975.
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