Full text: Bildungspolitik im Saarland

sieht243, ein Novum in der deutschen Bildungsgeschichte geschaffen worden. Straus hat 
diesen Vorgang im Jahre 1953 überschwenglich eine mutige Tat genannt, etwas que les 
théoriciens, les formalistes de la parole, les superintellectuels croyaient impossibles dans 
leur candeur spirituelle244. Diese sehr selbstbewußte Aussage verschweigt freilich die triste 
Realität, in der sich der französische Sprachunterricht in seinem Anfangsstadium befand. 
Da die Mehrzahl der Volksschullehrer aufgrund ihrer Bildungslaufbahn der französi¬ 
schen Sprache nicht mächtig waren, mußten über 500 Lehrkräfte eingestellt werden, die 
in einem Sonderexamen245 ihre Lehrbefähigung nachweisen mußten. Sie kamen zu einem 
großen Teil aus dem benachbarten Elsaß-Lothringen, aus der Schweiz, aus Luxemburg 
und Belgien. Da sie aber überwiegend für ihre pädagogische Aufgabe nur unzureichend 
ausgebildet waren und darüber hinaus oft nur ungenügende deutsche Sprachkenntnisse 
besaßen, mußte die mit viel Aufwand und Eifer eingeleitete Aktion bald wieder zurückge¬ 
nommen werden. So ordnete die Militärregierung schon im Oktober 1946 die Entlassung 
zahlreicher Lehrer für den Französischunterricht an und erlaubte nur dann die Einstellung 
solcher Kräfte, wenn sie in einer strengen Prüfung ihre Eignung nachgewiesen hatten246. 
Die schlechten Erfahrungen mit auswärtigen Sprachlehrern führte dazu, daß die Ausbil¬ 
dung der Volksschullehrer um so stärker mit dem Französischunterricht in Verbindung 
gebracht wurde. Jedes Lehrerseminar erhielt alsbald zwei französische Lektoren zugeteilt. 
Gleichzeitig wurde Französisch für jeden Seminaristen in allen sechs Jahrgangsklassen 
Hauptfach; in der Prüfungsordnung erhielt es konsequenterweise eine zentrale Stellung 
zugewiesen. Jeder Absolvent mußte, bevor er als Junglehrer an einer saarländischen 
Volksschule unterrichten durfte, ein Jahr lang als Schulassistent in Frankreich tätig ge¬ 
wesen sein. Dieser vorgeschriebene Aufenthalt war, so versichert Straus ausdrücklich, n ’a 
pas seulement une importance linguistique, mais, ce qui est plus important, une valeur hu¬ 
maine et politique247. Obgleich Straus die Organisation seines sprachpolitischen Pro¬ 
gramms energisch vorantrieb, war bis zum Jahre 1948 seinen Bemühungen nur ein ge¬ 
ringer Erfolg beschieden. So ist dem Protokoll einer Schulleiterkonferenz, die am 30. Au¬ 
gust 1948 stattfand, zu entnehmen, daß nach einer Mitteilung des Herrn Ministers ... der 
französische Sprachunterricht sehr im argen liege248. 
Im Bereich des gymnasialen Schulwesens konnte die Sprachenpolitik von Straus aufgrund 
der überlieferten sprachlichen Bildungsaufgabe dieser Anstalten natürlich eher greifen. 
Innerhalb des fremdsprachlichen Fächerkanons erhielt hier das Französische schon bald 
243 In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft wurde dieser Fremdsprachenunterricht nicht 
erteilt. 
244 E. Straus, Sarre, S. 119. 
245 Gefordert wurden: ein französisches Diktat mit grammatikalischen Übungen und Auslegungen, 
ein Aufsatz in französischer Sprache und eine mündliche Prüfung, die ausschließlich in französi¬ 
scher Sprache stattfand. Nach E. Straus, Sarre, S. 123. 
246 Schreiben der Verwaltungskommission (Schulabteilung) - E II a — Tgb. Nr. 3930/46 - an alle 
Schulräte vom 11. 10. 1946. LA Saarbrücken, Bestand Kreisschulamt Ottweiler Nr. 20. 
24/ E. Straus, Sarre, S. 124. 
248 Protokoll einer Schulleiterkonferenz am 30. 8. 1948 in Wemmetsweiler. LA Saarbrücken, Be¬ 
stand Kreisschulamt Ottweiler Nr. 7. 
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