lieh auch französischerseits nicht. Doch damit allein gewinnt die These, daß Straus an der
Saar wirklich nur die pädagogische Verbindung von deutschem und französischem Geist
im Interesse einer christlich-humanistisch begründeten Irenik gewollt hat, noch nicht an
Glaubwürdigkeit. Von ihm selbst wissen wir, daß sich Grandval im Kulturpolitischen
vorrangig nur für den französischen Sprachunterricht interessierte119. Damit ist aber zu¬
gleich auch der politische Hintergrund dieser von Straus inszenierten Aktion deutlich an¬
gesprochen, und zwar ebenso klar wie in der französischen Besatzungszone auch, wo die
forcierte Förderung der französischen Sprache offen politisch begründet wurde239 240. Auch
Woelfflin, der langjährige Leiter des Services Culturels in Saarbrücken, bestätigt, daß das
erste Interesse in der Kulturpolitik Frankreichs an der Saar der Sprachenpolitik galt. Nach
Meinung Woelfflins war aber nicht nur die gewollte Wirtschafts- und Zollunion für diese
Intention maßgebend, sondern auch die eher emotional zu deutende Sorge über den fort¬
schreitenden Geltungsverlust der französischen Sprache überhaupt. Eine Assimilations¬
absicht weist Woelfflin in diesem Zusammenhang ausdrücklich zurück. Deutsch als Mut¬
tersprache und Französisch als erste Fremdsprache, mehr wollten wir nichtZ241.
Ein Indiz dafür, daß die von Straus eingeführte Praxis des französischen Sprachunterrichts
in Wirklichkeit stärker auf nationale Interessen Frankreichs Rücksicht nahm als auf die
von ihm vorgegebenen idealistischen Motive, steuert er selbst bei, wenn er seine Sprachen¬
politik in ihrer Vorbedingung für eine Annäherung an die humanistischen Lebensideale
Frankreichs immer wieder in das Blickfeld jener kartesianischen Logik rückt, die er als ein
geschätztes Merkmal des französischen Nationalcharakters sieht; eine einseitige Deu¬
tung, hinter der sich im Grunde eine Vorstellung von jenem Frankreich verbirgt, wie es
Grandval als selbstbewußter Repräsentant einer patriotisch geprägten französischen
Machtelite an der Saar verkörperte.
9.2 Der Mangel an geeigneten Lehrkräften als Hindernis
für einen erfolgreichen Sprachunterricht
Der saarländischen Eltern- und Lehrerschaft sowie natürlich den Schülern selbst blieb in
den ersten Nachkriegsjahren kaum eine andere Wahl, als sich den umfassenden und
strengen behördlichen Anordnungen zu einem allgemeinen französischen Sprachunter¬
richt zu fügen. Zwar war eine klare Mehrheit der saarländischen Eltern bereit, im Rahmen
eines fakultativen Unterrichts ihre Kinder im Französischen schulen zu lassen242, eine Zu¬
stimmung für einen umfangreichen Pflichtunterricht, wie ihn Straus im Interesse seiner
vagen pädagogischen Intentionen im Auge hatte, bedeutete das allerdings nicht. Unge¬
achtet der schwierigen materiellen Situation der Nachkriegszeit wurde mit Beginn des
Schuljahres 1946/47 der französische Sprachunterricht an allen saarländischen Volks¬
schulen vom zweiten Schuljahr an als obligatorisches Hauptfach eingeführt. Damit war,
wenn man von der im Jahre 1871 in Hamburg eingeführten Tradition eines allgemein ver¬
bindlichen englischen Sprachunterrichts von der vierten Volksschulklasse an einmal ab¬
239 Interview E. Straus vom 25. 11. 1976.
240 Siehe oben, S. 50 f.
241 Interview P. Woelfflin vom 27. 12. 1976.
242 Im Bereich des Kreisschulamtes Ottweiler sagten von 14 002 befragten Eltern 12 915 eine Teil¬
nahme an einem fakultativen französischen Sprachunterricht zu. Werte nach einem undatierten
Aktenvermerk. LA Saarbrücken, Bestand Kreisschulamt Ottweiler Nr. 20.
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