9. Die Einführung des französischen Sprachunterrichts
9.1 Das Saarland, eine zweisprachige Insel?
Mit der gleichen Sicherheit, mit der behauptet werden kann, daß die von Straus betriebene
kirchenfreundliche Bildungspolitik dem Mehrheitswillen der saarländischen Bevölke¬
rung entsprach, kann man andererseits auch sagen, daß er wegen seiner Sprachenpolitik
zugunsten des Französischen ein umstrittener Mann an der Saar wurde. In der Literatur
wird er gerade aus diesem Grunde immer wieder als einer der eifrigsten Handlanger der
französischen Machthaber eingestuft234. Seinen sprachenpolitischen Ehrgeiz hat Straus
stets mit der von ihm verfochtenen „germano-romanischen Kultursynthese“ be¬
gründet235. Welche Absichten er damit verband, das wird in einem Vorwort zu einem Bei¬
trag mitgeteilt, den Straus unter dem mißverständlichen Titel „La Sarre, île bilingue de
l’europe“ im Rahmen einer Publikation schrieb, die im Jahre 1953 unter dem Titel „Le
Monde où l’on s’entend“ erschien. Dort heißt es im Zusammenhang mit der Einführung
des obligatorischen Fremdsprachenunterrichts an saarländischen Volksschulen im Jahre
1946:
Emil Straus réussira cependant, et les résultats sont là, tangibles, son expérience, qui s’en¬
tend à la fois aux différents secteurs de l’enseignement et aux différents enseignements na¬
tionaux, l’aidera dans sa création et lui permettra de concilier en Sarre la conception chré¬
tienne de l’éducation allemande et l’humanisme français236.
Auch heute noch verteidigt Straus seine kulturverbindende Theorie mit pädagogischen
Motiven. Er habe, um das Fiasko des Krieges zu überwinden, an der Saar eine geistige Ver¬
ständigung der Völker herbeiführen wollen, deren erste Bedingung aber nun einmal die
Überwindung der Sprachbarrieren sei237. Inwieweit kann man diese idealistische Begrün¬
dung einer einseitig —weil eben nur auf das Französische hin orientierten- Sprachenpolitik
angesichts der kühlen und berechnenden Machtpolitik Frankreichs an der Saar für glaub¬
würdig halten ? Sicher ist, daß Straus mit seiner These von der „zweisprachigen Insel“ den
generellen Stellenwert der deutschen Muttersprache im Saarland gegenüber der französi¬
schen Fremdsprache nicht verändern wollte238. Andere Erwägungen hegte man schlie߬
234 Vgl. hierzu als Beispiele R. H. Schmidt, passim; K. Thewes, höhere Schulen, S. 271 f.; O.
Früh und H. Schneider, S. 82 f.
235 Nach K. Thewes, höhere Schulen, S. 271. In der Quelle ist die zitierte Begriffsbezeichnung
ebenfalls in Anführungszeichen gesetzt.
236 Le Monde oül’on s’entend. Editions, zusammengestellt von Jean-Marie Bressandin: Monde
Nouveau - Paru, Revue mensuelle internationale, No 65, Paris 1953, S. 117 — Vorwort zu E.
Straus, Sarre, S. 118 ff. Im Literaturverzeichnis unter E. Straus, Sarre, zu finden. In der 2. Le¬
sung des Saarländischen Landtages über das französisch-saarländische Kulturabkommen vom
15.12.1948,die am 12.1.1949 stattfand, istStraus ebenfallsauf den Begriff Kultursynthese ein¬
gegangen. Er sagte damals: Die Synthese beider Kulturkreise ist unser Ziel. Aber daß natürlich
unsere Sprache, die Tradition, in der wir groß ge worden sind, die Sitten und Gebräuche, die uns
von unserer frühesten Jugend an begleiten, daß wir sie weiter pflegen, darüber kann gar keine
Meinungsverschiedenheit bestehen, ohne daß ich noch einmal daraufhinweisen möchte, wie sehr
Herr Außenminister Schumann (!) uns die Pflege dieser Güter zugesichert und garantiert hat.
Landtag des Saarlandes, Stenographische Berichte, 1. Wahlperiode, 46. Sitzung, Tagesordnungs¬
punkt 7 {12. 1. 1949), S. 6.
237 Interviews E. Straus vom 23. 11. 1976.
238 Vgl. dazu seine Ausführungen in seinem Beitrag in der Revue mensuelle internationale. E.
Straus, Sarre, S. 118 ff. Eine andere Schlußfolgerung ließe sich aber auch nicht aus der Gesamt¬
heit seiner bildungspolitischen Aktivitäten ableiten.
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