fende und gerade deshalb als inferior angesehene Artillerie. Vor Infanterie und Kaval¬
lerie, meint er, gebührten ihr alle honneurs et récompenses, da sie im Kampf nicht nur
denselben Gefahren ausgesetzt sei, sondern Leistungen erbringen müsse plus pénibles
et plus assujettis de corps et d’esprit, Leistungen also, die „Génie“ in seinem Sinne
erforderten31.
Schließlich sollte man Vauban „ingénieur de France“ nennen, weil er zu seiner Zeit
am meisten dafür getan hat, und zwar mit Reformplänen für das Militärersatzwesen,
für Organisation, Bewaffnung, Ausrüstung, Besoldung, Ausbildung sowie den Einsatz
der Armee im Kampf, nicht nur diese einzelnen Bereiche militärischer Aktivität zu
ordnen, zu koordinieren und so in sich sowie miteinander nach einer von ihm häufig
gebrauchten Wendung zu économiser32, sondern darüber hinaus die Aufgaben der
Streitkräfte im Blick auf das Allgemeininteresse zu verstehen, um immer eine sinnvolle
Relation zwischen dem Einsatz von Menschen, Material und finanziellen Mitteln und
den Zwecken des Krieges herstellen zu können. Vauban hat solche militärische Fragen
also nicht aus einer fachlichen Perspektive beurteilt, sondern eingefügt in einen umfas¬
senden Zusammenhang, letztlich im Kontext der höchsten Interessen von Staat und
Gesellschaft — ganz entsprechend der für die Philosophie Descartes’ fundamentalen
Maxime, daß der Teil im Blick auf das Ganze verstanden werden müsse, das Beson¬
dere bezogen auf ein übergeordnetes Allgemeines. Niemals urteilte er so nur als Tech¬
niker, Architekt, Offizier oder Ökonom, sondern immer auch aus einem im absoluten
Staat vom Untertanen an sich nicht geforderten Bewußtsein staatsbürgerlicher Ver¬
antwortung, eine Einstellung, die schon urteilsfähige Zeitgenossen bewunderten, so
Fontenelle, der Vauban in seinem „Eloge funèbre“ vom Mai 1707 als einen Romain
feierte, qu’il semblait que notre siècle eût dérobé aux plus heureux temps de la Répu¬
blique, und ähnlich Voltaire, der meinte, Vauban habe gezeigt, daß es geben könne
citoyens dans un gouvernement absolu. Rebelliau nannte Vauban jüngst den ersten
soldat-citoyen33.
Vauban kann somit aïs „ingénieur de France“ gelten, weil er alles ihm Mögliche zur
Entwicklung und Nutzung technischer Mittel für die Zwecke des Krieges sowie für
Aufstellung, Ausbildung und Reputation technischer Truppen getan hat, motiviert
dazu einmal durch die Gewißheit, so die Schlagkraft der Armee zu maximieren, zu¬
gleich aber durch den ihn mehr als alle anderen Befehlshaber Ludwigs XIV. auszeich¬
nenden Willen zur Conservation des hommes, durch das ihm eigene Bewußtsein sozia¬
ler Verantwortung für die Masse der gemeinen Soldaten, den menu peuple in der
Armee34. Zumal mit seinem, nicht zuletzt auch im Blick auf die Angriffstaktik der
31 Vauban I, S. 304; vgl. Müller, S. 31
32 Vauban I, S. 250, 292, 389.
33 Fontenelle, Œuvre complètes, êd. par G.-B. Depping, Genève 1968, I, S. 103; Voltaire,
Œuvres historiques, S. 1212 sowie 699, 848 und bes. S. 842. Hier rühmt er Vauban als „le
seul général peut-être qui aimât mieux l’Etat que soi-même“. Vgl. Rebelliau, S. 272.
34 Vauban II, S. 147, 94, 342, 439 sowie S. 244 ff, (zwei Briefe von Racine an Boileau mit
Hinweisen auf Vaubans Fürsorge für die gemeinen Soldaten bei der Belagerung von Namur
1692) und I, S. 239 (L’attaque de places von 1705): dort eine scharfe Kritik an der im franzö¬
sischen Offizierkorpa verbreiteten brutalité qui dépeuple nos troupes, gegen die sottise, eigener
hoher Verluste sich gar noch zu rühmen. Aufschlußreich noch eine Stelle aus einem Brief von
Madame de Sévigné an ihre Tochter (22. 10. 1688): ... Vauban étant le maître et n’étant
point pressé, rien ne l’empêchera de conserver les hommes encore plus qu’il n’a accoutumé de
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