Full text: Beiträge zur Geschichte der frühneuzeitlichen Garnisons- und Festungsstadt

ganz schweren unpraktischen Geschütze ab und reduzierte die Typen. Im 16. Jahr¬ 
hundert setzten sich die Eisenkugeln als Geschosse endgültig durch. 
Wie ein Schock hatte in Europa der Fall Konstantinopels mit seiner dreifachen 
Landmauer, der bestbefestigte Platz der bekannten Welt, am 29. Mai 1453 gewirkt. 
Für den türkischen Sieg war in erster Linie der Einsatz von Belagerungsgeschützen 
entscheidend gewesen9. Auch im mitteleuropäischen Raum häuften sich die erfolgrei¬ 
chen Belagerungen. Man versuchte zunächst durch Modifikationen der herkömm¬ 
lichen Wehrbauweise den neuen Erfordernissen gerecht zu werden. Es galt, größere 
Widerstandsfähigkeit gegen die feindlichen Geschosse zu erreichen und Platz für den 
Einsatz eigener Geschütze zu gewinnen. Die Mauern erhielten Aufschüttungen aus 
Erde; man bevorzugte eine Aufschüttung an der Außenseite der Mauer, den sog. 
Niederwall, der bewirkte, daß die Auftreffwucht der Geschosse durch die Erde nahezu 
absorbiert und Platz für die Aufstellung der eigenen Geschütze geschaffen wurde. 
Hinter ihm blieb die höhere Ringmauer mit Wehrgang und Türmen erhalten. Zum 
Verzicht auf das der mittelalterlichen Kriegführung und Technik entstammende Prin¬ 
zip der Überhöhung konnte man sich zumal in Deutschland nur schwer entschließen. 
Der Niederwall lief parallel zur Ringmauer, sprang aber an den schwachen Punkten 
jeder Befestigung, den Toren, bollwerkartig vor. Diese Bollwerke wurden im 15. Jahr¬ 
hundert oft aus Holzbohlen gerüstartig gebaut und mit Erde ausgefüllt. Im 16. Jahr¬ 
hundert genügten diese Anpassungsversuche nicht mehr. Auf wissenschaftlich mathe¬ 
matischer Basis, in Werken, die durch den Druck weit verbreitet wurden, kam es zu 
ganz neuen Ansätzen. Aibrecht Dürers 1527 gedruckte Vorstellungen — u. a. die 
Türme in Basteien umzuwandeln und die Basteien mit Zwischenmauern schottartig zu 
unterteilen — waren zukunftsträchtig, aber ökonomisch nicht realisierbar. Entschei¬ 
dende Gedanken kamen aus Italien; Sanmicheli und Niccolo Tartaglia schufen die 
sog. altitalienische Befestigung mit polygonalen gebrochenen Bastionen. Die neuitalie¬ 
nische erreichte mit dem kasemattartigen Ausbau der Bastionen zur mehrgeschossigen 
Geschützstellung, der Anlage günstiger Profile und besonders des gedeckten Weges 
auf der äußeren Grabenböschung ein Übergewicht über die Artillerie des Angreifers; 
die Befestigungen von Turin und Teile der Stadtbefestigung von Antwerpen wurden in 
dieser Weise von Paciotto di Urbino angelegt. Über die italienischen Vorstellungen 
ging Daniel Speckle hinaus, dessen theoretisches Werk Architectura, von Vestungen 
1589 in Straßburg erschien. Speckle beeinflußte die Festungsbauten in Kolmar, Ulm, 
Schlettstadt, Basel, Wien, Jülich, Düsseldorf, Hagenau. Er verwandte rechtwinklige 
Bastionen. Sein System ermöglichte Feuerzusammenfassung vieler Verteidigungs¬ 
geschütze von Bastionen, Katzen und Kurtinen auf einen beliebigen Punkt auf dem 
Glacis und eine gegenseitige Deckung der Bastionsfacen und -flanken durch die 
Festungsartillerie. In der Folge kam es zu einer Flut von Lehrbüchern; die Bauträger 
von Festungen gingen dazu über, berühmte Festungsingenieure — ein neuer Beruf — 
auch über große Entfernungen zu Rate zu ziehen. Einen Höhepunkt erreichte die 
Festungsbaukunst unter Ludwig XIV. in Frankreich. Im Ausstellungskatalog10 hat 
9 Steven Runciman, Die Eroberung von Konstantinopel 1453. München 1966, S. 82 ff. Die 
großen Geschütze, darunter das von dem ungarischen Techniker Urban gegossene, konnten 
nur siebenmal am Tag abgefeuert werden. 
10 Ansehen und Einfluß der Festungsbaumeister im Zeitalter König Ludwigs XIV. von Frank¬ 
reich, in: Saarlouis 1680—1980 (wie Anm. 4) S. 26—31. 
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