Full text: Beiträge zur Geschichte der frühneuzeitlichen Garnisons- und Festungsstadt

Kriegsführung in Ungarn und die nötigen Reformen eingereicht. Der anonyme Verfas¬ 
ser, der die ungarisch-türkischen Verhältnisse gut kannte, hat zwei Schlußfolgerungen 
stark betont: 
1) daß es gefährlich und schädlich sei, auf deutsche Weise gegen die Türken zu 
kämpfen, 
2) daß die ungarischen Grenzwächter im Türkenkrieg eine unentbehrliche Rolle 
spielen sollten23. 
Zwei Jahrzehnte später wurde von den Türken in dem Wiener Friedenspakt vom 
14. 7. 1615 die Forderung gestellt, alle ungarischen Einheiten aus dem Verteidigungs¬ 
gürtel zurückzuziehen und die kleineren Grenzfestungen zu demolieren. Wir sehen 
also, daß Bedeutung und Gewicht des ungarischen Verteidigungssystems von Freund 
und Feind übereinstimmend beurteilt wurde. 
Die Organisation des ungarischen Verteidigungsgürtels hatte schon in den 50er 
Jahren des 16. Jahrhunderts feste Wesenszüge angenommen24. Die ungefähr 12 gro¬ 
ßen Festungen und die mehr als 100 befestigten Stützpunkte lagen in einer Wehrzone, 
die mehr als 850 km lang und durchschnittlich 50 km breit war. Das Wehrgebiet 
hatte sechs Flauptmannschaften mit einer Ausdehnung von ca. 42 500 km2, was bei 
der schon erwähnten Mannschaftsstärke25 1 Soldat auf 2,4 Quadratkilometer ergibt. 
(Abb. 4) Die großen Festungen brauchten eine 2 000—3 000 Mann starke Besatzung, 
die aber nur vor den Belagerungen bereitgestellt wurde. Die Wirksamkeit der Vertei¬ 
digung sicherten in erster Linie die ungarischen Husaren, die mit ihren schnellen und 
rastlosen Truppen die türkischen Raubzüge fast immer vernichtet oder entdeckt ha¬ 
ben. Nach der blutigen und verheerenden Periode des 15jährigen Krieges (1608) war 
der Habsburger Staat beinahe bankrott, der Sold der Grenzwächter mußte verringert 
werden und in den Festungen wurde der Sollstärke eine tatsächliche Stärke gegen¬ 
übergestellt. Aber selbst die verminderten Truppen waren nicht regelmäßig bezahlt 
und verpflegt. Die Zeitgenossen sprachen ganz offen über die Vernachlässigung des 
Wehrsystems und das Elend der Grenzwächter. Viele Soldaten waren gezwungen, 
Felder anzubauen, Handel oder Handwerk zu treiben, um sich überhaupt ernähren 
und erhalten zu können26. 
Die schwerwiegenden Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges haben die finan¬ 
ziellen Möglichkeiten der Wiener Regierung total erschöpft. Um in dem Kampf um 
das Reich freie Hand zu bekommen, ließen sie sich auf die Illusion eines langen Frie¬ 
dens mit den Türken ein. Die Wehrkapazität des ungarischen Grenzschutzes gab rasch 
23 Anonyme Denkschrift an Erzherzog Matthias am 3. Januar 1595. Wiener Hofarchiv, mitge¬ 
teilt in: Hadtörtenelmi KÖzlemenyek/Budapest/1888. S. 311—316. 
24 Juris Corpus/Magyar TÖrvenytär/Budapest 1899. Das decretum von 1555. Articuli IV. und 
VI. — Jänos Szendrei, Väraink rendszere es felszerelese a XVI. es XVII. szäzadban, in: 
Hadtörtenelmi Közlemenyek /Budapest/ 1888. S. 86—103, 416—430 und 617—631. (Sy¬ 
stem und Ausstattung unserer Grenzfestungen in 16. und 17. Jahrhundert). 
25 8420 Fußsoldaten + 5997 Husaren + 727 Soldaten der Flußmarine + 2300 königliche Söld¬ 
ner der Magnaten, insgesamt 17 444 Mann um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Acsädy: Un¬ 
sere (wie Anm. 8). 
26 Läszlo Benczedi, Katonaretegek helyzete a török elleni värhäborukban. (dt. Zfg.) in: Had¬ 
törtenelmi Közlemenyek (Budapest) 1966. S. 821—827. (Die Lage des Militärs in den Fe¬ 
stungskriegen gegen die Türken). 
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