Full text: Beiträge zur Geschichte der frühneuzeitlichen Garnisons- und Festungsstadt (13)

großen Plan- und Modellsammlungen in Paris und Stockholm entwickelte sich eine 
Kopistentätigkeit, in der man sich fleißig an zeitgenössischen und historischen Beispie¬ 
len übte. Hier waren, wie gesagt, die Zentralmächte des Absolutismus führend, ihre 
Archive bieten heute noch in seltener Geschlossenheit eine schier unerschöpfliche 
Quelle. Der Beitrag des deutschsprachigen Raumes liegt in dieser Epoche auch weiter¬ 
hin mehr auf dem Gebiet der Theoriebildung, um nur auf Namen wie Speckle, Böck- 
ler, Furttembach, Rimpier usw. hinzuweisen. Der junge Dahlberg28 entfaltete einen 
regelrechten Kult um diese bewunderten Vorbilder, noch wirkte in ihm der doktrinäre 
Eifer der Renaissancetheoretiker nach; die überzeugt waren, daß man stets nach dem 
höchsten streben müsse, daß eine schlechthin ideale Lösung, insbesondere für das 
Problem der radiokonzentrischen Festungsstadt, erreichbar sei, als non plus ultra 
sozusagen. Dahlbergs viele Schüler sorgten für die schnelle Verbreitung dieser Ideen. 
Bei Vaubans Epigonen, welchen die Lehre von seinen angeblichen drei Systemen zu 
verdanken ist, finden sich dann ähnliche Züge wieder. Entscheidend aber erscheint 
mir der Sprung zum Konkreten um die Mitte des 17. Jahrhunderts, der die Idealstadt 
aus Utopien in die irdischen Gefilde zurückholt. 
Ermessen läßt sich dieser Sprung am Verhältnis zum Plan, zum Grundriß der bei¬ 
spielhaften Modellanlage, die als unüberwindlich, wohlerbaut, ebenmäßig usw. von 
allen gefeiert wurde. Ich habe in diesem Zusammenhang den sogenannten „Urplan 
von Vauban 1680“ für Saarlouis vor Augen, der in der Sammlung Dr. Spieß erhalten 
ist und die Originalaufschrift „Distribution des batiments de Sarrelouis“ trägt.29 Die 
Verteilung der Kirche und Palais erinnert im Prinzip noch immer an mediceische 
Anlagen wie Terra del Sole30, allerdings übertragen in einen abgemessenen Rationa¬ 
lismus, eine Ökonomie der Räumlichkeit bei aller Großzügigkeit wie sie in Italien 
nicht vorgekommen war und nur in der Welt der neuen starken Zentralmächte gedei¬ 
hen konnte31. Schon der Utopist Filarete hatte höchst differenzierte Bebauungspläne 
vorgelegt, doch darin zurechtfinden konnte man sich nur, wenn man dazu seinen 
konfusen Roman „Sforzinda“ gelesen hatte. Die Elemente werden bei Vauban und 
seinen Mitarbeitern hochgradig rationalisiert, jede Bauklasse hat ihren festen Platz, 
gravitätisch durchschneiden die Achsen den urbanen Körper wie die Hauptalleen in 
einem Park von Le Notre. 
Ist diese visuelle Analogie auch von dem Zeitgenossen von damals erlebt worden? 
Ein Überblick über die Gesamtheit der ausgeführten Planung, wie wir sie heute bei 
wohlerhaltenen Anlagen im Flugphoto realisieren können, war dem Menschen des 17. 
und 18. Jahrhunderts natürlich verwehrt. Er hatte die Erd- und Kasemattenbefesti¬ 
gungen aus einem völlig anderen Blickwinkel vor Augen, wenn er nicht einen beherr¬ 
schenden Turm bestieg oder gar ein Modell betrachtete. Dei Beschreibung der Frau 
Rat Goethe, die eingangs zitiert wurde, schildert den alltäglichen Eindruck von einer 
28 Bis auf weiteres liegt über diesen bedeutenden europäischen Barockbaumeister nur grund¬ 
legende Literatur in schwedischer Sprache vor, eine Monographie steht noch aus. 
29 Hans-Walter Herrmann, Neuaufgefundene Pläne saarländischer Städte, in: 19. Bericht der 
Staatlichen Denkmalpflege im Saarland. Beiträge zur Archäologie und Kunstgeschichte, 1972, 
S. 29-40. 
30 Donatini, siehe Anm. 16. 
31 Le pouvoir central et les villes en Europe du XVe siècle aux débuts de la révolution industriel¬ 
le, hrsg. vom Comité danois par l’histoire des villes, Byhistoriske skrifter 1, Kopenhagen 1978. 
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