4. Als zeitlich verzögerte und deshalb nicht mehr in den Zeitraum unserer
Betrachtung fallende Umnutzung begegnet uns die zweite Verwendung der
Grünanlagen zu Ringverkehrsstraßen.
Für die kurkölnische Haupt- und Residenzstadt Bonn gelten die Kategorien 2
und 3 in partieller Weise. Der Plan von François de Villemont29 zeigt die Festung
Bonn im Jahre 1703, ummittelbar vor ihrer letzten Belagerung: Noch decken mehr¬
fach gestaffelte Festungswerke das Residenzschloß (s. Beilage ). Im Süden schieben
sie sich bis zu dem Gumme genannten Altrheinarm (in dessen Bett seit 1856 die Bahn¬
trasse). Im Zuge der heutigen Poppelsdorfer Allee verläuft lediglich ein Feldweg auf
das kurfürstliche Wasserschloß Poppelsdorf zu, von dem nur noch die Vorburg steht.
Zehn Jahre später wagt es ein anderer Franzose, nämlich kein geringerer als der Pari¬
ser Architekt Robert de Cotte, auf Wunsch des Kurfürsten Joseph Clemens in dieses
ausgezirkelte Reglement strenger Festungsformen spielerisch Erweiterungsideen für
das Residenzschloß einzuskizzieren30. Durch Flügelanbauten wird das Vierturmschloß
seit 1715 geweitet. Die Hauptfront öffnet sich nach Südosten zum Siebengebirge.
Anstelle der Bastionen und Gräben erstreckt sich nun ein Gartenparterre, der Ansatz
zum heutigen Hofgarten. Um auch zum alten kurfürstlichen Besitz in Poppelsdorf eine
axiale Verbindung herzustellen, bedarf es eines Gelenkes im Baukörper. Dieses ist der
Buenretiro-Flügel (am heutigen Kaiserplatz) mit den Privatgemächern des Kurfürsten.
Kainein31 arbeitet in seiner Monographie über Schloß Poppelsdorf den baugeschichtli¬
chen Sinn dieses Gebäudeteils heraus: Die Bautätigkeit am Schloß Poppelsdorf und
am Buenretiro erfolgt regelrecht synchronisiert.
Schon in den Jahren seines Exils hat den Kurfürsten die architektonische Idee der
Verbindung zweier Schlösser zu einer einheitlichen Komposition beschäftigt. Der heu¬
tigen Poppelsdorfer Allee kommt deshalb besondere Bedeutung zu. Mit ihrer Inan¬
griffnahme bestehen die beiden Bauwerke in Bonn und Poppelsdorf nicht mehr für
sich alleine. Sie sind als Einheit aufzufassen und können somit als erste planmäßige
Erweiterung der Stadt über die Mauern hinaus gelten. Mit ihr beginnt für die Siedlung
Bonn die Neuzeit. Dafür sind umfangreiche Arbeiten zur Planierung des Geländes am
heutigen Kaiserplatz nötig, das zur Gumme hin rasch abfällt.
An der Südostflanke ist nach der Beseitigung der Schlaunschen Nouvelle Enceinte
seit 1741/42 die Festung entgültig geschleift. (Nur die Drei-Königs-Bastion am Rhein
ist unter dem Namen Alter Zoll als imposantes Relikt jener Epoche geblieben.) Aber
ist der Stadt damit eine Erweiterungsmöglichkeit geschaffen? Die Öffnung dient nur
dem Residenzschloß, sieht man von dem nicht ausgeführten Projekt für eine Josefstadt
im Hofgartenbereich 1723/173832 ab. Im übrigen bleiben die Bastionen und Gräben
29 Staatsbibliothek Berlin (Ost), Signatur X 20078; eine ältere Photokopie im Stadt-Archiv Bonn,
Ba 75, diente als Grundlage für Abb. 1. Plan im Ausschnitt abgebildet bei Aders, Bonn als
Festung (s. o. Anm. 8), Abb. 27, S. 106.
30 Wend Graf Kainein, Das kurfürstliche Schloß Clemensruhe in Poppelsdorf. Ein Beitrag zu
den deutsch-französischen Beziehungen im 18. Jh. (Bonner Beiträge zur Kunstwissenschaft,
Bd. 4), Düsseldorf 1956, Abb. 60, dort Nachweis.
31 Kainein, a.a.O. S. 54.
32 Nachweis s. Busso von der Dollen, Vorortbildung und Residenzfunktion. Eine Studie zu den
vorindustriellen Stadt-Umland-Beziehungen. Dargestellt am Beispiel Bonn-Poppelsdorf (Veröf¬
fentlichungen des Stadtarchivs Bonn, Bd. 20), Bonn 1978, S. 62 Anm. 133.
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