Full text: Beiträge zur Geschichte der frühneuzeitlichen Garnisons- und Festungsstadt

aber kam es den Desarmierungsbeauftragten auf die Beseitigung der aufgetürmten 
Höhen an3. Nur selten ließ man einzelne „Berge“ nach romantisierender Deformie¬ 
rung in dieser neugeschaffenen Parklandschaft stehen. Der Name des „Chimborasso“ 
für die größte Erhebung der Lübecker Stadtwälle, also eines 1802 durch Humboldt 
bekannt gewordenen Vulkans in den Anden, ist für diese Anschauungsweise vielsa¬ 
gend genug; 1880—86 ist auch er in aufwendiger Kleinarbeit abgetragen worden. 
Auf solche Weise wurde mit den Denkmälern der frühneuzeitlichen Festungsarchi¬ 
tektur mit einer Gründlichkeit aufgeräumt wie sie in Frankreich und Italien unbe¬ 
kannt blieb. Hinter diesem Eifer standen — wie gesagt — nicht allein die Sachzwänge 
des wachsenden Bevölkerungsdrucks, sprich der Wohnungsnot, und der rapide voran¬ 
schreitenden Industrialisierung, sondern vielfach im gleichen Maße der Freiheitsdrang 
eines Bürgertums, das kein anderes Ventil für seine liberalen Neigungen finden konnte 
als die unnachsichtige Beseitigung von Relikten obrigkeitlicher Macht. Der Park ä la 
anglais wirkte da als Symbol der Befreiung. Vergleicht man einmal die Bauetappen der 
Wiener Ringstraße4 mit den verfassungspolitischen Bemühungen des Wiener Bürger¬ 
tums, wird man zu ähnlichen Schlußsätzen gelangen, obwohl hier — im Gegensatz zu 
den meisten anderen Grüngürteln des deutschen Sprachraums — eine strengere Be¬ 
pflanzung und ein striktes Achsensystem den Ton angeben. 
Dieselben Leute, welche sich im Zuge der Romantik der Bewunderung für das 
Mittelalter hingaben, bemerken wir nicht selten als unnachgiebige Verfolger von 
Wehrbauten aus der Zeit nach Einführung der Feuerwaffen. Hier scheint mir ein altes 
Bildungstrauma des Humanismus relevant, das sich auf Ulrich von Huttens berühm¬ 
ten Brief an Willibald Pirckheimer zurückführen läßt. Wortreich schildert Hutten 
seinem bürgerlichen Freund den Verfall des Lebens auf der Burg, in deren Mauern die 
Minnelieder längst verhallt waren, in deren Kemenaten vornehme Frauenverehrung 
nunmehr der Vergangenheit angehörte5: „Die Burg selbst ... ist nicht gebaut um 
schön, sondern um fest zu sein: von Wall und Graben umgeben, innen eng, da sie 
durch die Stallungen für Vieh und Herden versperrt wird. Daneben liegen die dunklen 
Kammern, angefüllt mit Geschützen, Pech und Schwefel und dem übrigen Zubehör 
der Waffen und Kriegswerkzeuge. Überall stinkt es nach Pulver, dazu kommen die 
Hunde mit ihrem Dreck, eine liebliche Angelegenheit wie sich denken läßt und ein 
feiner Duft! Reiter kommen und gehen, unter ihnen sind Räuber, Diebe und Bandi¬ 
ten.“ Dieser Text ist ein Prachtbeispiel für die Vermengung von ästhetisch und mora¬ 
lisch abwertenden Begriffen und hat ohne Zweifel seine tiefen Spuren hinterlassen, die 
vielleicht einmal durch eine bildungsgeschichtliche Untersuchung näher greifbar wer¬ 
den. 
Unvermeidliche Folge dieser Denkprozesse war, daß sich die Kunstgeschichte, her¬ 
vorgewachsen und gespeist von Impulsen der Spätromantik, zwar ausführlich und 
3 Siehe aus der umfangreichen Lehrbuchliteratur der Zeit Reinhard Baumeister, Stadt-Erwei¬ 
terungen, Berlin 1876; J. Stübben, Der Städtebau, Darmstadt 1890. 
4 Die Wiener Ringstraße — Bild einer Epoche, hrsg. von R. Wagner-Rieger, Bd. I—XII, Wien 
u. Wiesbaden 1964-76. 
5 Ulrich von Hutten, Opera, hrsg. von E. Böcking, Bd. I, Leipzig 1859, S. 201; dazu 
J. Huizinga, Herbst des Mittelalters, hrsg. von P. J. Monckeberg, München 1925, S. 139; 
Hajo Hol born, Ulrich von Hutten, Göttingen 1968, S. 22-25. 
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