Full text: Die Anfänge der Bergarbeiterbewegung an der Saar (1848 - 1904) (12)

Während die dortigen freien Knappenvereine noch die Knappschaftsproblematik als 
zentralen Integrationsfaktor zur Bildung eines gewerkschaftlichen Verbandes betrach¬ 
teten, entfaltete die sich sprunghaft verbessernde konjunkturelle Lage ihre Eigendyna¬ 
mik; in den Mittelpunkt der Versammlungen rückten die Forderungen nach 15%iger 
Lohnerhöhung und 8-Stundenschicht22, Obwohl Schröder in alter sozialdemokrati¬ 
scher Tradition davon abriet, „die Besserstellung des Bergmannsstandes durch gewalt¬ 
tätige Mittel, durch einen Streik erzwingen zu wollen“23, und die katholische „Tremo- 
nia“ eine Arbeitsniederlegung gar als ,, Verbrechen“ bezeichnete24, kam es seit dem 1. 
Mai auf verschiedenen Zechen zu Schlepperstreiks, die sich nach Zusammenstößen mit 
Polizei und Militär rasch ausdehnten25. Am 10. Mai befanden sich bereits 81000 Berg¬ 
arbeiter im Ausstand, 77% der Belegschaften an der Ruhr, 40% aller preußischen 
Bergleute26. Erst an diesem Tag bildete sich in Bochum ein zentrales Streikkomitee, das 
sich aus Belegschaftsdelegierten und den Vorständen der Knappenvereine rekrutierte27 28. 
„Geld kann ein Industrieller verlieren, aber auch wiedergewinnen — die Autorität 
nicht*‘2%. Diese von Kruppdirektor Jencke formulierte Position machte sich der Vor¬ 
stand des „Vereins für bergbauliche Interessen“ am 11. Mai zu eigen; um den Streik 
„als Machtprobe (zu) behandeln und auslaufen (zu) lassen**29, verlangte man die Ein- 
22 Vgl. Koch, S. 33 — 35. Gladen: Streiks, S. 120 — 125. Tenfelde: Sozialgeschichte, S. 
582 f. 
23 Imbusch, S. 280. Vgl. Köllmann: Bergarbeiterstreik, Nr. 23, S. 55. Hartmann, S. 
151 f. 
24 Tremonia vom 5. 5. 1889 (Nr. 103), abgedruckt bei Köllmann : Bergarbeiterstreik, Nr. 6, 
S. 31 L, Zitat S. 32. Auch Windthorst erklärte sich gegenüber Hammacher bereit, „nach dem 
Streikbezirk zu fahren und persönlich im versöhnenden Sinne einzuwirken“, Seeber/Witt- 
w e r, S. 422. 
25 Laut Socialdemokrat vom 18. 5. 1889 (Nr. 20) gab es bereits bis 11. Mai mindestens 15 Tote. 
Vgl. Bismarcks Sturz, S. 265. Gladen : Streiks, S. 128. Zum Phänomen der Schlepperstreiks 
vgl. Tenfelde: Gewalt und Konfliktregelung, S. 225 f. D e r s . : Probleme der Organisation 
von Arbeitern und Unternehmern im Ruhrbergbau 1890 — 1918, in: Hans Mommsen (Hrsg.): 
Arbeiterbewegung und industrieller Wandel. Studien zu gewerkschaftlichen Organisations¬ 
problemen im Reich und an der Ruhr, Wuppertal 1980, S. 38 — 61, besonders S. 50 f. 
26 Köllmann: Geschichte der Bergarbeiterschaft, S. 67. Vgl. die Aufteilung der preußischen 
Bergleute nach Revieren im Jahre 1889 bei Oldenberg, S. 607: 
Zahl 
% 
Oberbergamtsbezirk Dortmund 
105 000 
53 
Oberbergamtsbezirk Breslau 
- Niederschlesien 
14 000 
7 
— Oberschlesien 
42 000 
21 
Oberbergamtsbezirk Bonn 
- Aachen 
7 000 
3,5 
- Saar 
26 000 
13 
Oberbergamtsbezirk Halle und Clausthal 
3 000 
1,5 
Preußen 
198 000 
100 
27 Hinter den Kulissen fungierten die Zentrumspolitiker Fusangel und Lensing einerseits, der So- 
zialdemokratTölcke andererseits als Ratgeber. Vgl. Koch, S.36f. G1 a d e n : Streiks, S. 129 f. 
Tenfelde: Sozialgeschichte, S. 585. Hartmann, S. 165 f. 
28 S ee b e r/ W i 11 w e r, S. 424. 
29 Ebd., S. 423. 
100
	        
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