Die wohl wichtigste Attacke auf die sozialen Zustände im Saarrevier stammte jedoch
aus der Feder von Hermann Laven (1844 — 1914), seit 1869 Pfarrer in Sulzbach69: 1881
erschien seine Satire „Der Sang von Lao Fumtse. Ein chinesisches Gedicht ans den Koh¬
lenbergwerken der Provinz Schansi“ zunächst im Feuilleton der ,,Saar-Zeitung“, 1887
anläßlich der Reichstagswahl auch als Broschüre in Dasbachs Paulinus-Verlag — in bei¬
den Fällen ohne Autorenangabe c. In dieser Schlüsselerzählung schildert der sterbende
Lao Fumtse sein Bergmannsleben und enthüllt dabei die verbreiteten Korruptionstech¬
niken. Indirekt griff Laven aber auch die Saarbergleute an, die solche Zustände zulie¬
ßen: „Der allgemeine chinesische Charakter der Feigheit, Betrugslust, verbunden mit
hündischer Unterwürfigkeit und Falschheit zeigt sich auch bei den Arbeitern der Koh¬
lengruben“7'. Wer dennoch glaubte, eine „echte“ chinesische Geschichte vor sich zu
haben, wurde spätestens dann eines besseren belehrt, wenn er die Anfangsbuchstaben
der einzelnen Abschnitte las: „Saarbrücker Kohlenrevier, von einem kaiserlichen Chi¬
nesen zweiter Klasse“71 73. Inwieweit die Broschüre zum Maistreik 1889 beitrug, muß
zweifelhaft bleiben. Hue schrieb zwar, daß der „Sang von Lao Fumtse“ unter den
Bergarbeitern zum „Losungswort (wurde), das man mit einem Gemisch von Scheu und
Behagen entgegennahm“7i; doch bei Herbert Freimuth, hinter dem sich wahrschein¬
lich ebenfalls Laven versteckte, hieß es 1890: „Nur wenige lasen es damals; es fiel bald
der Vergessenheit anheim“74.
Im Gefolge des Kulturkampfs nahm das katholische Arbeitervereinswesen einen neuen
Aufschwung. Eine Zentralisierung wie im „Knappenverein Wilhelm“ ließ sich wohl
nicht mehr durchsetzen, möglicherweise wäre sie überhaupt nicht mehr erlaubt wor¬
den. Statt dessen entstanden Einzelvereine in den meisten Bergarbeiterorten des Saar¬
reviers — nunmehr durchgängig auf rein katholischer Grundlage. 1889 existierten nach
einer unvollständigen Aufstellung der Zeitschrift „Arbeiterwohl“ derartige Berg¬
manns- und Arbeitervereine in Altenwald, Blickweiler, Bliesransbach, Diefflen, Dil¬
lingen, Dudweiler, Herrensohr, Fraulautern, Püttlingen, St. Ingbert, Sulzbach und
Wallerfangen75. Nachweisbar zu diesem Zeitpunkt sind weiterhin entsprechende Ver¬
eine in Bous76, Lebach, Ensdorf77, Bildstock78, Weiskirchen79, Friedrichsthal80, Neu-
69 Vgl. Hochscheidt: Hermann Laven, in: Trierische Chronik 11 (1914), Nr. 1/2, S. 22 — 27.
Selbst der Sulzbacher Bürgermeister Woytt, sonst ein strammer preußischer Beamter, der in
jedem Kanzelwort einen Angriff auf die Kaiserkrone witterte, lobte ihn als ,,Mensch von her¬
vorragender geistiger Veranlagung und von unübertrefflicher geistiger Rührigkeit bei einer äu¬
ßerlichen stoischen Ruhe“, BM Woytt/Sulzbach an LR vom 28. 12. 1889, KrASB S/4a.
70 OP Nasse/Koblenz an Bischof Korum/Trier vom 26. 8. 1890, BAT 85/995, 1. Vgl. Gerhard
B un g e rt/Klaus-Michael Mall mann: „Der Sang von Lao Fumtse“. Katholische Kirche
und Bergarbeiterschaft an der Saar, in: GL 169/1978.
71 Der Sang von Lao Fumtse, S. 9 f.
72 Entschlüsselt bereits bei LR zur Nedden/SB an RP vom 28. 12. 1889, KrASB S/4a sowie bei
Freimuth, S. 8. Vgl. Thoma, S. 175. Fohrmann, S. 204.
73 Hue: Bergarbeiter, Bd. 2, S. 257.
74 Freimuth, S. 5.
75 Arbeiterwohl 9 (1889), S. 151 —157. Im gesamten Reichsgebiet existierten zu diesem Zeit¬
punkt 168 katholische Arbeitervereine, 51 Knappenvereine, 37 Arbeiterjugend vereine und
26 Arbeiterinnenvereine. Vgl. Joseph May: Geschichte der Generalversammlungen der
Katholiken Deutschlands (1848 - 1902), Köln 1903, S. 328.
76 Festschrift 100 Jahre Berg- und Hüttenarbeiterverein St. Barbara Bous, o. O. o. J. (1972).
77 Berichte über beide Jubiläumsfeiern in Saarberg 1/1974.
78 SZ vom 8. 1. 1976.
79 100 Jahre Bergmannsverein Weiskirchen 1876— 1976, o. O. o. J. (1976); der Verein wurde als
,,Katholischer Bergmannsverein“ gegründet.
80 Festschrift zum 95-jährigen Stifungsfest des Katholischen Knappenvereins St. Barbara Fried¬
richsthal, o. O. o. J. (1973).
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