Elberfeld68, wo sich unter Führung von Friedrich Harm allmählich eine Parteizentrale
beider Provinzen herauskristallisiert hatte69. Der Grund ist wohl in der bis etwa An¬
fang 1891 andauernden Anbindung an die badisch-pfälzische Sozialdemokratie zu su¬
chen, aber auch in der personellen und finanziellen Schwäche der Parteigruppe an der
Saar, die selbst zum sozialdemokratischen Parteitag in Halle im Oktober 1890 keinen
Delegierten entsenden konnte70.
Auch in den letzten Jahren des Sozialistengesetzes vegetierten die Sozialdemokraten an
der Saar als Sekte dahin. Selbst der ,,Socialdemokrat“ scheint 1887 hier keine Abonnen¬
ten mehr gehabt zu haben71. Eine Zusammenstellung der verdächtigen Personen im
Kreis Saarbrücken vom 22. Oktober 1887 nennt lediglich 30 Namen, von denen 12 bei
Ehrhardt&Sehmer und 8 in der Eisenbahnwerkstätte beschäftigt waren72 — eine kleine,
aber festgefügte Gemeinschaft, ständig von Entlassung und folglich von Abwanderung
bedroht. Selbst in den Wirtschaften, in denen sie verkehrten, wurden sie polizeilich
überwacht73. Die Bildung eines ,, Vereins für volksthümliche Wahlen“ — wie vor der
Reichstagswahl 1890 in den meisten industrialisierten Kreisen — oder gar die Grün¬
dung einer eigenen Zeitung verboten sich unter diesen Umständen von selbst.
,,Notorische Sozialdemokraten wohnen resp. arbeiten bekanntlich nur in den drei Städ¬
ten des Kreisesberichtete Landrat zur Nedden Ende 188874 75, dagegen blieben ,,die
ländlichen Bezirke (und zwar insbesondere die bergmännische Bevölkerung) von so¬
zialdemokratischen Elementen durchweg frei“73. Der organisatorische Anknüpfungs¬
punkt der ,,freien Hilfskassen“ entfiel bei den knappschaftlich versicherten Bergleuten;
die Repressivnahmen verhinderten zusammen mit der spezifischen Sozialstruktur und
dem konservativen bergmännischen Rechtsbewußtsein eine Annäherung an die Sozial¬
demokratie. Zudem versuchte man, den Wahlausgang zugunsten der Kandidaten der
Regierungsparteien zu beeinflussen. Da die Stimmzettel nicht normiert waren, besaßen
die vielfach aus Steigern bestehenden Wahlvorstände die Möglichkeit, die Stimmabgabe
zu überwachen. War der Name des Regierungskandidaten durchgestrichen und statt
dessen ein anderer Name genannt, so konnten sich die Wahlvorstände bei der Auszäh¬
lung auf § 19 des Wahlreglements vom 31. Mai 1869 berufen, wonach ,,Stimmzettel,
auf welchen mehr als ein Name verzeichnet ist“, ungültig seien76. Aus diesen Gründen
beantragte die Wahlprüfungskommission, die 1881 erfolgte Wahl von Bergrat Täg-
68 (Gewehr): Sozialdemokratische Parteitage, S. 7 f. Düsseldorfer Arbeiterzeitung vom 13.
11. 1889 (Nr. 22). KAZ vom 17. 11. 1889 (Nr. 46).
69 Vgl. Günther Bergmann: Das Sozialistengesetz im rechtsrheinischen Industriegebiet. Ein
Beitrag zur Auseinandersetzung zwischen Staat und Sozialdemokratie in Wuppertal und im
Bergischen Land 1878 — 1890 (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-
Stifung, Bd. 77), Hannover 1970, S. 41 ff.
70 Delegiertenliste im SPD-Parteitagsprotokoll 1890, S. 305 — 314.
71 In der bei Engelberg, S.284 — 291, nach dem Motteler-Nachlaß im IISG zusammengestell¬
ten Expeditionsliste für 1887 fehlen Bezieher aus dem Saarrevier bzw. der südlichen Rheinpro¬
vinz. Bei Hausdurchsuchungen am 19. März 1889 fand man statt dessen legale sozialdemokra¬
tische Zeitungen wie die Nürnberger ,,Arbeiter-Chronik“ oder den ,,Süddeutschen Postillon“,
LR zur Nedden/SB an RP vom 24. 3. 1889, LHAK 442/6694, 143 — 151.
72 LR Voß/SB an RP vom 22. 10. 1887, LHAK 442/6695, 621 -631.
73 PK Faerch an BM Feldmann/SB vom 11. 9. 1888, SASB, Best. BMA SB, Nr. 1754.
74 LR zur Nedden/SB an RP vom 15. 9. 1888, LHAK 442/6694, 71 —78, Zitat S. 72.
75 Dto. vom 25. 6. 1889, ebd., 213-234, Zitat S. 214.
76 Vgl. Beilot, S. 106. H. Klein : Geschichte des Landkreises Saarbrücken, S. 74. Zu ähnli¬
chen Praktiken im Ruhrgebiet vgl. Tenfelde: Sozialgeschichte, S. 567.
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