zwar nicht zu Entlassungen, doch Anfang 1890 mußten die Werkstättenarbeiter
zwangsweise aus der Metallarbeiterkasse austreten und eine eigene Unterstützungskas¬
se gründen22, Ende des Jahres waren sämtliche Filialen der ,,Allgemeinen Kranken-
und Sterbekasse der Metallarbeiter“ in den Saarstädten eingegangen23.
Im April 1883 druckte der illegale ,,Socialdemokrat“ eine Korrespondenz aus dem
Saarrevier ab: „Die schlimmen Zustände sind in hiesiger Gegend derart entwickelt, daß
es nur der Arbeit einiger tüchtigen, th unlieb st unabhängigen Genossen bedarf, unsere
Sache hier wieder in vollsten Fluß zu bringen und hochzuhalten ... Die socialdemokra¬
tische Gluth ist nicht erstickt, unter der Decke glimmts und brodelts im ganzen Revier,
der ,Socialdemokrat' macht seinen Rundgang und findet seine Leute, die ihre Schuldig¬
keit für unsere hehre Sache allezeit und unermüdlich zu thun wissen werden“24. Auch
die im selben Jahr von Bebel anonym verfaßte Broschüre ,,Winke für die Agitation und
für das Verhalten vor den Behörden“ kursierte damals unter den Sozialdemokraten an
der Saar25. Ein weiteres sicheres Indiz, daß bereits in den ersten Jahren des Sozialisten¬
gesetzes wieder eine Parteigruppe im Saarrevier arbeitete, sind die Reichstagswahlen
am 28. Oktober 188426: Auf einen Schlag wurden in der Nacht vom 5. auf 6. Oktober
in Saarbrücken, St. Johann, St. Arnual, Brebach, Völklingen und Malstatt Flugblätter
zur Wahl Wilhelm Liebknechts unter den Haustüren durchgeschoben27 28. Triumphie¬
rend berichtete der „Socialdemokrat“: „Aus Saarbrücken-St. Johann. Am 5. Oktober
wurden hier 2000 Wahlmanifeste verbreitet. Ein Genosse wurde dabei ertappt, am fol¬
genden Morgen aber wieder entlassen. Diesem soll eine Aussage abgeluchst worden sein
über die Adresse, an welche die Sachen kamen, und derart sollte dann der angebliche
Urheber angenagelt werden. Darauf große Aufregung im ,Königreich Stumm'. ,König
Stumm‘ hatte natürlich nichts Eiligeres zu thun, als den angeblichen Träger der social¬
demokratischen Idee aus seinem Königreich hmauszumaßregeln. Die Idee aber wird
ihm seinerzeit als ,theures Andenken an bessere Zeiten den Begriff seiner königlichen
Hinfälligkeit und ihrer proletarischen Unsterblichkeit beibringen, daß ihm der Schlot¬
ter in die Beine fährt, bis er ,verstummen' wird. Gruß! Die Unvertreiblichen“2%.
Doch zu soviel Freude hatten die Sozialdemokraten an der Saar gar keinen Anlaß.
Denn der Dreher Joseph Laschewitz, der beim Flugblattverteilen verhaftet worden
war, nannte bei der polizeilichen Vernehmung die Namen der übrigen Verteiler29; eine
Reihe von Hausdurchsuchungen, gerichtlichen Bestrafungen und Entlassungen war die
Folge30. „Die Hausdurchsuchungen hier nehmen gar kein Ende“, klagte Alois Kern in
einem Brief an Motteier und bat ihn, in der nächsten Zeit von Sammelsendungen des
22 LR zur Nedden/SB an RP vom 31.3. 1890, ebd,, 391 -396. Statutenexemplar SASB, Best, BMA
SB, Nr. 1471. Vgl. Klaus Saul: Konstitutioneller Staat und betriebliche Herrschaft. Zur
Arbeiter- und Beamtenpolitik der preußischen Staatseisenbahnverwaltung 1890 bis 1914, in:
Industrielle Gesellschaft und politisches System. Festschrift Fritz Fischer, Bonn 1978,
S. 315-336.
23 LR zur Nedden/SB an RP vom 14. 3. 1891, LHAK 442/6221, 43—54.
24 Sozialdemokrat vom 19. 4. 1883 (Nr. 17).
25 PK Wirtz an BM Falkenhagen/St. Johann vom 6. 10. 1884, Abschrift LHAK 442/6695,
17-21.
26 Zum allgemeinen Wahlkampfverlauf vgl. Beilot, S. 165 — 168.
27 LR Richthofen/SB an RP vom 7. 10. 1884, LHAK 442/6695, 1 f. Exemplare des Wahlmani-
fests ebd., 3 — 10. Verbotsverfügung des RP vom 15. 10. 1884, ebd., 47. Vgl. Socialdemokrat
vom 16. 10. 1884 (Nr. 42).
28 Socialdemokrat vom 21. 11. 1884 (Nr. 47).
29 Vernehmungsprotokoll vom 6. 10. 1884, Abschrift LHAK 442/6695, 13 — 15.
30 Urteil des Saarbrücker Schöffengerichts gegen Laschewitz, Kern, Bachmann u. a. vom 23. 4.
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