Quierschied abgehaltene Versammlung einen derart revolutionären Verlauf, wie er
seither in hiesiger Gegend nie auch nur annähernd dagewesen war. Dieser Verlauf ...
hatte gezeigt, daß das bisher diesseits in den Versammlungen mit Erfolg versuchte sach¬
liche Entgegentreten gegen die Aufhetzereien durch die Agitatoren auf die Dauer weder
durchführbar, noch auch ausreichend sei, namentlich da nunmehr die Versammlungen
fast Tag für Tag in den verschiedensten Orten stattfinden sollten, und außerdem auch
vom 1. Juli ab ein sozialdemokratisches Wochenblatt ,Die Freie Volksstimme‘ durch p.
Kaulitz in St. Johann herausgegeben und in der ganzen Gegend colportirt wurde“17.
In dieser Situation ergriff Adolf Achenbach (1825 — 1903), der Vorsitzende der Berg¬
werksdirektion 3S, die Initiative zum ,,Sozialistengesetz der Saarindustrie“: Am 2. Juli
1877 lud er ,,die Arbeitgeber des Saargebietes behufs gemeinsamen Vorgehens gegen
die sozialdemokratischen Agitationen“ zu einer Versammlung vier Tage später ein39.
An diesem 6. Juli schlossen sich die Saarindustriellen einschließlich der Staatsbetriebe
zu einem ,,Komitee der Arbeitgeber zur Bekämpfung der Sozialdemokratie“ zu¬
sammen; ,,man einigte sich allseitig dahin, keine Arbeiter auf den betreffenden Wer¬
ken zu dulden, welche sich direct oder indirect an sozialdemokratischen Agitationen
betheiligen, und zwar insbesondere durch Theilnahme an sozialdemokratischen Ver¬
einen und Versammlungen, durch Halten und Verbreiten sozialdemokratischer Blät¬
ter, oder durch den Besuch von Wirthshäusern, welche sich zum Auflegen von Zei¬
tungen oder zum Abhalten von Versammlungen dieser verderblichen Richtung her¬
geben. Arbeiter, welche in Ausführung dieses Beschlusses entlassen werden, sollen auf
keinem anderen Werke Aufnahme finden“27 30. Der Begriff sozialdemokratische Betäti¬
gung war in diesem Beschluß äußerst weit gefaßt; Regierungspräsident von Wolff
machte ihn unbewußt noch amorpher, als er von ,,Repressivmaßregeln gegen die So¬
zialdemokratie und gegen alles, was sie direkt oder indirekt begünstigt oder gefördert
hat“3', berichtete. Mühelos ließ sich darunter auch gewerkschaftliche Arbeit jeder
Richtung, die Tätigkeit christlich-sozialer Arbeitervereine oder linksliberale Politik
subsumieren. Der Beschluß bedeutete den ,,Bruch mit dem Prinzip des ethisch-persön¬
lichen Verhältnisses, das sonst das vielbetonte Ideal der Saarindustriellen war. Das Mit¬
tel zur Erlangung des Erfolgs war dasselbe wie bei den Arbeiterorganisationen, nämlich
der Boykott“32. So richtig diese Feststellung Karl Alfred Gabels auch ist, sie verkennt,
27 Haßlacher/BWD an HM vom 20. 7. 1877, LASB 564/715, 101 — 104, Zitat S. 102. Vgi. BM
Falkenhagen/St. Johann an BWD vom 2. 7. 1877, ebd., 90 f.
28 Vgl. Faus, 2. Teil, S. 89 f. Konrad Fuchs: Adolf Achenbach, in: Nassauische Lebensbil¬
der, Bd. 6, 1961, S. 240.
29 Randnotiz Achenbachs vom 2. 7. 1877, LASB 564/715, 90 f. Ebenso Haßlacher/BWD an HM
vom 20. 7. 1877, ebd., 102. Die Meinung Beilots, S. 147, daß der Zusammenschluß „auf
Veranlassung Stamms“ erfolgt sei, ist demnach ebensowenig haltbar wie die von E. Klein :
Saarbergbau, S. 15, wonach sich die Bergwerksdirektion „dem Vorgehen der saarländischen
Industriellen an(schloß)“. Zwar rühmte sich Stumm in der SZ vom 14. 6. 1878 (Nr. 136) als
geistiger Vater, der „im Wesentlichen die Anregung gegeben habe“, doch diese Äußerung
kann sich genauso gut auf die konkrete Formulierung des ,,Sozialistengesetzes der Saarindu¬
strie“ beziehen.
30 SZvomlQ.7. 1877(Nr, 157), Beschlüsse ebenfalls abgedruckt in: Ti 11 e (Hrsg.): Die Reden
des Freiherrn Carl Ferdinand von Stumm-Halberg, Bd. 8, S. 80 f., 91 f. Hellwig : Stumm,
S. 231. Gabel, S. 70. Bentz, S. 273. Straus, S. 77.
31 RP Wolff/Trier an IM vom 15. 7. 1878, LHAK 403/6825, 311 -328. Abgedruckt auch bei
Feiger, S. 382-388, ZitatS. 387 f.
32 Gabel, S. 71. Vgl. Lothar M ach tan/Dietrich M i 11 es : Die Klassensymbiose von Junker¬
tum und Bourgeoisie. Zum Verhältnis von gesellschaftlicher und politischer Herrschaft in
Preußen-Deutschland 1850- 1878/79, Frankfurt - Berlin - Wien 1980, S. 78- 129.
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