der sozialdemokratischen Parteiarbeit im Saarrevier an Baden und Pfalz; nicht von
Köln oder Elberfeld kamen die Direktiven, sondern von Mannheim.
Mit Hackenbergers Haftbeginn Ende April 1876 trat in der offenen Agitation an der
Saar wieder Stillstand ein. Um die Stärke der sozialdemokratischen Bewegung feststel¬
len zu können, nominierte man den inhaftierten Hackenberger bei der Reichstagswahl
am 11. Januar 1877 als Zählkandidaten für den Wahlkreis Saarbrücken. Er brachte es
auf 324 Stimmen, darunter 104 in St. Johann, 100 in Saarbrücken, 36 in Maistatt-Bur¬
bach, 30 in St. Arnual, 13 in Sulzbach, 10 in Quierschied und 4 in Dudweiler18. Auf
die Bergarbeiter hatte die sozialdemokratische Agitation also noch nicht übergegriffen.
Bereits die bei Zimmermann beschlagnahmten Akten belegten, daß die Partei „sich hier
hauptsächlich unter Bauhandwerkern und Werkstättenarbeitern recrutirt“19 20. Nach der
Reichstagswahl verlagerte sich das polizeiliche Interesse auf die Eisenbahnwerkstätte,
wo ,,meist jüngere Schlosser und Schmiede“ im Verdacht sozialdemokratischer Gesin¬
nung standen; im März 1877 kam es deswegen zu Entlassungen’0. Ende Januar 1877
zog Harry Kaulitz nach St. Johann, ,,ein noch sehr junger Mann von eleganter Tournü-
re“, Sohn eines Braunschweiger Notars. Als sozialdemokratischer Agitator war er bis¬
her noch nicht hervorgetreten; wie jedoch seine Korrespondenz mit Georg von Vell¬
mar21 zeigt, kam er zumindest in Absprache mit führenden Sozialdemokraten ins Saar¬
revier22 23.
Nach der Haftentlassung Hackenbergers trat die Partei wieder mit Versammlungen an
die Öffentlichkeit: Hackenberger und Kaulitz referierten im Juni 1877 in St. Johann,
St. Arnual und Malstatt über „Das eherne Lohngesetz“ oder „Die Quintessenz des So¬
zialismus“; die Besucher rekrutierten ,,sich bis jetzt aus dem Arbeiterstande und na¬
mentlich aus den Eisenbahnwerkstätten-Arbeitern“22,. Erst als die überwachenden Poli¬
zisten an den Mützenemblemen Bergleute unter den Zuhörern zu erkennen glaubten24,
wurde die Bergwerksdirektion aktiv und schickte ihre Beamten in die sozialdemokrati¬
schen Versammlungen. Am 30. Juni trat Bergrat von Ammon — von der nationallibera¬
len Versammlungsmehrheit sogar zum Vorsitzenden gewählt — Kaulitz in Malstatt
,,mit Erfolg“ entgegen25 26, ähnlich wie Bergassessor Haßlacher bei einer Dudweiler Ver¬
sammlung am 24. Juni, die „meistens, wenn nicht ausschließlich, von Bergbeamten,
aber fast ganz und gar nicht von Bergarbeitern besucht war“2b. Doch derselbe Haßla¬
cher mußte kurze Zeit später nach Berlin berichten: ,,Dagegen nahm die am 1. Juli zu
18 Wahlergebnisse in SZ vom 12. 1. 1877 (Nr. 9) und Saarbrücker Kreisblatt vom 15. 1. 1877
(Nr. 3). Zum allgemeinen Wahlverlauf vgl. Beilot, S. 143 — 146.
19 SZ vom 16. 5. 1876 (Nr. 113). Diese soziale Zusammensetzung war durchaus typisch für die
gesamte Sozialdemokratie, in der gelernte Arbeiter der Klein- und Mittelindustrie den Kern
bildeten. Vgl. Wilhelm Schröder: Geschichte der sozialdemokratischen Parteiorganisation,
S. 33, sowie die Berufsanalyse des pfälzischen Funktionärskaders bei E. Schneider, S.
124-132. Jüngst dazu Wolfgang Renzsch: Handwerker und Lohnarbeiter in der frühen
Arbeiterbewegung, zur sozialen Basis von Gewerkschaften und Sozialdemokratie im Reichs¬
gründungsjahrzehnt (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 43), Göttingen 1980.
20 Eisenbahndirektion SB an HM vom 26. 3. 1877, Abschrift LHAK 442/6384, 195 — 198.
21 Kaulitz/St. Johann an Vollmar vom 29. 6. 1877, IISG, Nachlaß Georg von Vollmar, Nr. 1070.
Kaulitz bedankte sich darin für die Adressen, ,,die mir sehr zu statten gekommen“ sind.
22 PK Wirtz/St. Johann an BM Meyer/Malstatt-Burbach vom 21. 3. 1877, SASB, Best. BMA
Malstatt-Burbach, Nr. 57. SZ vom 20. 3. 1877 (Nr. 66).
23 BM Meyer/Malstatt-Burbach an LR vom 26. 6. 1877, SASB, Best. BMA Malstatt-Burbach,
Nr. 57. PK Schiller an Meyer vom 16. und 28. 6. 1877, ebd.
24 PK Wirtz/St. Johann an BWD vom 30. 6. 1877, LASB 564/715, 89.
25 Randnotiz Achenbachs vom 2. 7. 1877, ebd. PK Schiller an BM Meyer/Malstatt-Burbach vom
2. 7. 1877, SASB, Best. BMA Malstatt-Burbach, Nr. 57.
26 SJZ vom 26. 6. 1877 (Nr. 145).
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