3 Die Entwicklung der Arbeiterbewegung
im Saarrevier vor 1889
3.1 Die Revolutionsjahre 1848/49 und die ,,Reaktionszeit“
Obwohl kollektive Arbeitseinstellungen schon den städtischen Handwerkern des Spät¬
mittelalters durchaus vertraut waren, blieben Streiks der deutschen Bergleute in den
Jahren zwischen 1789 und 1848 nahezu aus1. Ständische Absicherung, kleinbäuerli¬
cher Rückhalt, Bildungsdefizite, konfessionelle Gegensätze, unzureichende außerbe¬
triebliche Kommunikation durch fehlende Urbanisierung und durch mangelnde Ver¬
einsbildung hinderten sie daran. Nicht umsonst prägten die Zigarrenarbeiter und
Buchdrucker die Geburtsstunde der deutschen Gewerkschaftsbewegung — zwei Ge¬
werbe, die ,,durch die berufsbedingte Beschäftigung der einen mit Gedrucktem und
Bildung schlechthin, durch die kommunikative Disposition des Arbeitsplatzes der ande¬
ren geformt worden sind“2. Die fortbestehenden Subsistenzgarantien einerseits, die im
preußischen König personalisierte Bergbauverfassung andererseits grenzten den Pro¬
testspielraum der Saarbergleute ab. Kampfmaßnahmen hatten darin noch keinen Platz,
der Beschwerdeweg bot sich als vorgezeichnete Konfliktregelung an.
Im März 1848 wandten sich die Knappschaften der Gruben Jägersfreude, Sulzbacb-Al-
tenwald, Dudweiler, Gerhard und Prinz Wilhelm nacheinander mit Petitionen an das
Bergamt Saarbrücken3. Es ging ihnen um Statuserhaltung und Detailverbesserung. Die
Forderungen nach Schichtlohnerhöhung und verbesserten Gedingesätzen standen all¬
gemein an der Spitze. Unter Berufung auf die staatsbürgerliche Gleichheit bat man ver¬
schiedentlich um die Aufhebung des Heiratskonsenses und forderte andere Steiger:
,,Wäre es nicht ersprießlicher, tüchtige Söhne der Bergmannsglieder selbst zuzulassen?
Diese, bekannt mit den Mühen und Beschwerden der Bergarbeiter, würden ihr amtli¬
ches Ansehen nicht zur Geisel der Bergleute mißbrauchen“4. Daneben trachtete man
1 Todt/Radant, S. 68- 79 führen in ihrer Auflistung der Streikbewegungen keinen Berg-
arbeiterausstand auf. Erst Hanns Klein : Der erste deutsche Bergarbeiterstreik im Jahre 1816
auf den Saargruben Großwald und Rußhütte, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte
6 (1980), S. 251 -269, gelang jüngst der Nachweis eines kurzfristigen Arbeitskampfes bei der
Übernahme zweier Saargruben durch Preußen. Uber die Petitionsbewegung verschiedener
Knappschaften im Oktober 1830 ist in Kürze ebenfalls ein Aufsatz von H. Klein zu erwarten,
vgl. ebd., S. 262, Fn 50. Als Fallstudie mit zahlreichen Saar-Verweisen erschien jüngst Michael
Müller: Die preußische Rheinprovinz unter dem Einfluß von Julirevolution und Hambacher
Fest 1830 - 1834, ebd., S. 271 - 290. Zur Streiktradition in den klassischen Handwerksbranchen
vgl. jüngst Andreas Grießinger: Das symbolische Kapital der Ehre. Streikbewegungen und
kollektives Bewußtsein deutscher Handwerksgesellen im 18. Jahrhundert, Frankfurt-Berlin-
Wien 1981.
2 Klaus T e n f e 1 d e : Strukturelle Bedingungen für Solidarität. Erfahrungen der deutschen Ar¬
beiterbewegung im 19. Jahrhundert, in: GM 28 (1977), S. 245 — 258, Zitat S. 250. Vgl. Ulrich
Engelhardt: Gewerkschaftliches Organisationsverhalten in der ersten Industrialisierungs¬
phase, in: Werner Conze/ Ulrich Engelhardt (Hrsg.): Arbeiter im Industrialisierungsprozeß.
Herkunft, Lage und Verhalten (= Industrielle Welt, Bd. 28), Stuttgart 1979, S. 372-402.
3 HStAD, Best. OBA Bonn, Nr. 583 b. Vollständig abgedruckt bei Wächtler : Geschichte,
S. 284 — 294. Die Jägersfreuder Bittschrift stammte bereits vom 10. März, die übrigen vier
Knappschaften petitionierten zwischen dem 21. und 25. März 1848; die Bergleute waren so¬
mit die Vorreiter der im Mai einsetzenden Petitionsbewegung an der Saar.
4 Petition der Gruben Sulzbach und Altenwald vom 21. 3. 1848, ebd., S. 286. Fast gleichlau¬
tend in der Petition der Grube Prinz Wilhelm vom 25. 3. 1848, ebd., S. 294.
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