Grubenkasse steht indes nur mit dem Unternehmer des Hauptgedinges in einem Ver¬
tragsverhältnis und wird nur mit ihm abrechnen und ihm das Guthaben an den festge¬
setzten Lohntagen auszahlen“^. Der Partiemann, der auch die Entlohnung vornahm
und seine Ortsbelegschaft auswählte, avancierte somit zum Subunternehmer, der im ei¬
genen Interesse das Arbeitstempo forcieren mußte. In Verbindung mit der Gedingever-
steigerung und den Korruptionspraktiken erwuchs so eine strukturelle Desolidarisie-
rung, die den hohen Grad an Autonomie im Arbeitsprozeß zumindest wettmachte, da
sie eine ständige Atomisierung bewirkte. Die an sich egalitären Arbeitsstrukturen er¬
fuhren also Brechungen, die eine kollektive Verarbeitung der veränderten Situation er¬
schwerten.
Hinzu kamen die bewußtseinsmäßigen Konsequenzen der unterschiedlichen Besitz-
und Wohnstruktur. Für die Arbeiterbauern war das industrielle Lohnarbeitsverhältnis
noch keineswegs irreversibel. Der Zerfall der Agrargemeinde hatte sie zu agrarischen
Kleineigentümern gemacht, die zwar vom Ertrag ihrer Parzellen allein nicht mehr leben
konnten, aber nach wie vor von einer Rückkehr in die bäuerliche Vergangenheit träum¬
ten. ,,In Gedanken an die Seinen und in der Hoffnung, noch ein Feldchen und dann
noch eines erwerben zu können, schaffen und sparen der Mann und seine Söhne am
Schmelzofen, in der Kohlengrube und haben in der Begründung ihres kleinen Heimwe¬
sens, in der Hoffnung, sich auch darauf einmal ganz ernähren zu können, mehr Anlaß
zur Disciplin und zur Moral und Rechtlichkeit, als Reglements und Polizeivorschriften
ihnen einbringen können“14 15, erkannte Karteis bereits 1883.
Sie empfanden die industrielle Beschäftigung zunächst als vorübergehendes Obel, dann
als Ergänzung der bäuerlichen Arbeit, nie als unausweichliches Schicksal. Trotz aller
Anpassungskonzessionen an die neue Umwelt blieb der traditionale 'Werthorizont mit
seiner individualistischen Grundtendenz intakt. Im Gegensatz zu den im Sulzbachtal
wohnenden Bergarbeitern bildeten die Bergmannsbauern die sozial führende Schicht
im Dorf. Allein diese Tatsache bot die Möglichkeit, die unfreiwillige Arbeit im Indu¬
strierevier zu kompensieren, die bei den Nah- und Fernpendlern in einen dauernd er¬
fahrbaren Dualismus mündete. Die Trennung von Produktions- und Konsumptions-
sphäre mußten sie wie den Unterschied zwischen „Himmel und Holle“ empfinden, als
manifestierte Differenz zwischen dem Reich der Notwendigkeit und dem der Freiheit.
In den Parzellenbauerndörfern erfuhren die bäuerlichen Rückzugsstrategien somit per¬
manent neue Bestätigung16.
Zudem ,,bewahrte die Arbeit unter Tage im Unterschied zur Fabrikarbeit noch eine
Reihe bäuerlicher‘ Momente: weitgehend handwerklich, relativ unentfremdet und
noch deutlich naturverbunden, bedeutete die Arbeitsverrichtung für die Bergleute kei¬
nen totalen Bruch mit ihrer Herkunft vom Lande“17. Diese verwandte Beschäftigung
mit unbearbeiteter Natur erlaubte es, die Bergarbeit in agrarischen Wahrnehmungs¬
und Verarbeitungsformen zu artikulieren: Tiernamen und Benennungen aus der Land¬
wirtschaft fanden sich in der Bergmannssprache des Saarreviers in weit höherem Maß
als in den übrigen deutschen Revieren18.
14 Gedingeprotokoll abgedruckt bei E. Müller, S. 148.
15 Karteis, S. 204.
16 Vgl. W. H. Schröder, S. 42-46.
17 Puls, S. 178. Vgl. ebd., S. 207-209.
18 O. H. Werner, S. 49. Vgl. dessen Wortschatzsammlung S. 51—66 sowie Klaus-Michael
Mallmann: Von Grube, „Zeche“ und „Fahren“. Besonderheiten aus der Bergmanns¬
sprache/Zur Etymologie bergmännischer Begriffe, in: GL 160/1976.
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