St. Johanner,,Arbeitersekretariat“ besaß man jetzt eine eigene Rechtsberatungsstelle 10°.
Seit 1905 erschien in St. Johann die ,,Saarwacht“ als Tageszeitung100 101. Im gleichen Jahr
bildete sich in Nahbollenbach im Kreis St. Wendel ein aus Obersteiner Fabrikarbeitern
bestehender sozialdemokratischer Volksverein102, zwei Jahre später konstituierte sich
die Parteiorganisation im Wahlkreis Ottweiler-St. Wendel-Meisenheim unter Vorsitz
des Neunkircheners Ludwig Hettrich103. Trotz dieser organisatorischen Erfolge zählte
die Sozialdemokratie im Saarrevier 1907 erst 224 Mitglieder, 1913 war sie gerade auf
777 angewachsen104.
Nach wie vor rekrutierten sich die Parteimitglieder aus Handwerksgesellen in den städ¬
tischen Zentren. „Unter den bergmännischen und eigentlichen Industriearbeitern hat
die Sozialdemokratie nahezu keine Anhänger, ihre Mitläufer sind zumeist unter den
Handwerkern, wie Maurern, Schreinern, Schneidern und dergleichen zu suchen“105 106,
berichtete Landrat Bake Ende 1898. Osterroth bestätigte diese Feststellung: „Nur etwa
ein Dutzend der dauernd Gemaßregelten blieb im Saarrevier, die einen als Händler
und kleine Geschäftsleute, die andern als Gelegenheitsarbeiter in Ermangelung einer
dauernden Arbeitsstätte. Sie hatten ein dauerndes Martyrium durchzumachen und un¬
ermeßliches Elend auszukosten. Gebunden durch ein Häuschen, das ihnen niemand ab¬
kaufte, blieben sie im Saarrevier als Pioniere der Partei, um bald flügellahm zu werden
und sozial immer tiefer zu sinken. Nur zwei Prachtnaturen hielten sich in größter Not¬
durft über dem Wasser und trotzten der Reaktion, bis endlich die Arbeiterbewegung an
der Saar wieder ihre Auferstehung feierte: Peter Becker aus Püttlingen und Peter Klein
aus Friedrichsthal. Gemieden von ihren alten Kampfgenossen, gehetzt von Arbeitsstätte
zu Arbeitsstätte, blieben sie unter unerhörter fortwährender Not der Sozialdemokratie
treu und suchten für die Partei im Stillen zu werben“IC6.
Die Fachvereine in den Saarstädten, die sich im Juli 1899 zum Gewerkschaftskartell mit
Sitz in St. Johann zusammenschlossen107, bildeten damit automatisch das Rückgrat der
sozialdemokratischen Organisation. Sie wiesen zwar einen teilweise recht hohen Orga¬
nisationsgrad auf108, blieben im Maßstab des gesamten Reviers jedoch eine verschwin¬
dende Minderheit. 1896 lebten 298 Mitglieder der freien Gewerkschaften im Kreis
100 Karl Handfest: L>as „Arbeiter-Sekretariat" St. Johann, in: Der saarländische Arbeitneh¬
mer 24 (1976), H. 3, S. 151 f. Vgl. H ei 1 bo rn , S. 34 — 41. Richard Soudek : Die deut¬
schen Arbeitersekretariate (= Volkswirtschaftliche und wirtschaftsgeschichtliche Abhand¬
lungen, H. 7), Leipzig 1902. Cornelius Schaefer: Die deutschen Arbeitersekretariate,
Diss. Bonn 1914. Martin Martiny : Die politische Bedeutung der gewerkschaftlichen Ar¬
beiter-Sekretariate vor dem Ersten Weltkrieg, in: Heinz Oskar Vetter (Hrsg.): Vom Soziali¬
stengesetz zur Mitbestimmung. Zum 100. Geburtstag von Hans Böckler, Köln 1975, S.
153 -174.
101 Vgl. Nikolaus Osterroth: Die „Saarwacht“ und der Redakteur mit der Bergmannshacke,
unveröffentlichtes Ms. im LASB, Slg, Handfest. Karl Handfest: Zur frühen Geschichte
der Gewerkschaften an der Saar, in: SH 18 (1974), S. 108-115, bes. S. 112 f.
102 RA Baudissin/Trier am OP vom 31. 12. 1905, LHAK 403/6864, 79 — 88.
103 Dto. vom 4. 9. 1907, LHAK 403/6865, 211 —220.
104 Fricke: Zur Organisation, S. 68. Zum unterentwickelten sozialdemokratischen Vereins¬
wesen vor dem 1. Weltkrieg vgl. Gerhard Bungert/Klaus-Michael Mallmann: Zur
Ertüchtigung - auch politisch. Die Arbeitersportbewegung im Saarland, in: Arbeitnehmer
26 (1978), S. 50-52.
105 LR Bake/SB an RP vom 21. 9. 1898, LHAK 442/4157, 21 -25, Zitat S. 21 f.
106 Nikolaus Osterroth : Wie das Saarrevier saarabisch wurde, unveröffentlichtes Ms., S. 5,
LASB, Slg. Handfest.
107 RA Amelung/SB an RP vom 21. 9. 1899, LHAK 442/4157, 309 — 321.
108 Vgl. die Mitgliederzahlen in der Nachweisung der im Regierungsbezirk Trier vorhandenen
sozialdemokratischen Vereine im Jahre 1906, LHAK 403/6864, 416 — 421.
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